Gierdynamische Systeme

In seinem 2006 veröffentlichten Buch „Zorn und Zeit“, einem laut Untertitel „politisch-psychologischen Versuch“, hat Peter Sloterdijk sich über die „Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen“ Gedanken gemacht (S. 302 ff):

„Die Grundlagen für die objektive Vergleichbarkeit des regulären Kapitalismus mit einem Ponzi-Schema sind in dem nicht bestreitbaren Faktum zu sehen, dass es sich bei beiden Modellen um kreditbasierte Wachstumssysteme handelt, die auf Gedeih und Verderb von erweiterter Reproduktion abhängig sind. Beiden ist eine Zusammmenbruchstendenz inhärent, deren Handhabung für die Systemdynamik im ganzen konstitutiv ist.

Der kapitalistisch-geldwirtschaftliche Komplex bildet ein weltumspannendes Netzwerk von Operationen zum Versetzen von Schuldenbergen. Doch selbst das bestkompensierte Ponzi-System kann längerfristig  nicht mehr leisten, als den Augenblick seiner Entzauberung auf unbestimmte Zeit zu verzögern – spätestens bis zu dem Moment, in dem der Weg der Expansion versperrt ist, weil alle neuen Mitspieler, die akquiriert werden könnten, dem Spiel schon beigetreten sind.“

Sloterdijk verweist in diesem Zusammenhang auf das Ende der fossilen Energien sowie – in einer Fußnote – auf das kettenbriefartig konstruierte Rentensystem, „bei dem die Älteren kräftig abzocken, während schon die Spieler der dritten Runde von den Hunden gebissen werden“ sowie auf die verschuldeten Staaten, „deren Stabilität zum großen Teil auf der quasireligiösen Unfähigkeit der Gläubiger beruht, sich einen zahlungsunfähigen Staat vorzustellen.“ Seit Sloterdijk seinen Text verfasste, soviel steht fest, ist weltweit die Gabe gestiegen, sich Staatsbankrotte vorzustellen.

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