Eine bissige Beschreibung ihres Berlin-Korrespondenten Ulrich Schmid brachte kürzlich die Neue Zürcher Zeitung. Unter der Überschrift „Die Lust an der politischen Schweinegrippe“ konstatierte Schmid, dass der extrem breite politische Konsens – im Grunde gebe es fünf sozialdemokratische Parteien in Deutschland – die „Hysterisierung und Tabuisierung, Verdrängung zentraler Themen“ fördere. Nur ganz wenige Medien und Politiker hätten sich zum Beispiel mit Sarrazins Thesen intensiv auseinandergesetzt. „Die meisten beließen es bei den bekannten rituellen Tänzen schneller Entrüstung und politischer Korrektheit. Das führt zwangsläufig zu intellektueller Verarmung.“
Statt auf wichtige Fragen stürzt sich derzeit allerdings auch die internationale Crème der Publizistik lieber auf Klatsch und Tratsch aus der US-Administration – für den sich wegen seiner Banalität keine Sau interessieren würde, wenn das diplomatische Personal ihn selbst in die Welt getwittert und gebloggt hätte.
Weissgarnix kommentiert heute treffend die Selbstreferenzialität der Medien: „Ist es nicht erstaunlich, dass in Zeiten, wo das Jahrhundertprojekt ´EURO´ den Löffel abgibt und das Weltbürgertum auf die Zielgerade zum “Großen Kladderadatsch” einbiegt, in Haiti die Cholera wütet und der eine oder andere Vulkan ausbricht, die Filetstücke der Gazetten darauf verwendet werden, was irgendwelche Politiker insgeheim über irgendwelche Politiker denken?“
Wikileaks hat mit dieser Aktion den Nimbus des freiheitsliebenden Enthüllers verloren. Und es wirkte ausgesprochen pennälerhaft, wie Sascha Lobo bei Anne Will den Datenklau verteidigte, sich gar als Verkünder einer zukünftigen totalen (totalitären?) Öffentlichkeit ins Zeug warf .
Doch ungeachtet dessen sind viele Leitartikler eben auch furchtbare Pharisäer, die jetzt wieder in gesetzten Worten über Freiheit und Verantwortung philosophieren. Zu Recht schreibt weissgarnix, „dass Wikileaks ohne die rege Anteilnahme der Mainstream-Medien noch immer auf dem Niveau einer Verschwörer-Website dahintümpeln würde, wie sie im Web zu Tausenden existieren.“
Vom „größten Verrat aller Zeiten“ blödelt sensationsheischend die Hamburger Morgenpost, früher mal ein stolzes SPD-Blatt. Ob vielleicht die Verabreichung von Tamiflu dem politisch-publizistischen Betrieb Linderung verschaffen könnte? Es müsste ja noch genug von dem Zeug da sein. Dank der damaligen Hysterie.