Diskussionsverweigerung

Vor einiger Zeit sprach dieser Blogger ein verbreitetes Unbehagen an. Sein ganzes Leben habe er sich politisch links eingeordnet, seit einiger Zeit werde er aber von Zweifeln befallen:

„Links ist das neue konservativ. Deshalb habe ich ein Problem. Ich verorte mich politisch immer noch in der gleichen Ecke. Mein ethisches Koordinatensystem ist durchaus noch intakt. Aber ich will mich im linken Mainstream, der längst eine gesellschaftliche Leitfunktion übernommen hat, nicht wohl fühlen. …

Die Linke lebt vor allem von der Abgrenzung zum politischen Gegner und der ständigen Selbstvergewisserung der eigenen Überlegenheit. Dabei haben wir Probleme, die auch die linken Patentrezepte nicht zu lösen in der Lage waren und sind. Schade, dass man mit den meisten Linken darüber nicht reden kann.“

Für die mangelnde Diskussionsbereitschaft vieler Linker in wirtschaftlichen Fragen scheint mir Heiner Flassbecks jüngstes Buch ein Beispiel zu sein. Es erschien letztes Jahr unter dem Titel „Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“. Flassbeck, ist ein erfahrener Wirtschaftswissenschaftler, der in jungen Jahren u. a. beim Sachverständigenrat gearbeitet hat,  unter Oskar Lafontaine kurze Zeit Staatssekretär im Finanzministerium war und heute bei der UNCTAD tätig ist.  In seinem Buch schildert er die volkswirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge zutreffend und liegt auch mit manchen Schlussfolgerungen meines Erachtens richtig.

Er ist sich allerdings nicht zu schade, wie ein Wirtschaftlaie am Gutmenschen-Stammtisch Josef Ackermann zu diffamieren, indem er dem Deutschbanker unterstellt, er habe 25 % Rendite „auf das eingesetzte Kapital“ gefordert (S. 144). „Herr Ackermann will 25 %“ ist ein ganzer Abschnitt des Buches überschrieben. Heiner Flassbeck weiß – oder müsste wissen –, dass sich das Renditeziel der Deutschen Bank eben nicht auf das eingesetzte Kapital bezieht, sondern auf das Eigenkapital, das bei Banken oft weniger als 5% des gesamten Kapitals ausmacht. Gerade der geringe Eigenkapitalanteil der Banken wird allseits kritisiert, völlig zu Recht. Unter bestimmten Voraussetzungen (die leicht zu erfüllen sind, wenn Zentralbanken eine Nullzinspolitik betreiben und Staaten neue Anleihen aufnehmen) gibt es bei Banken eine gewaltige Hebelwirkung der Gesamtkapital- auf die Eigenkapitalrendite.

Noch frappierender ist, wie konsequent Heiner Flassbeck zentrale Probleme der Keynesiansichen Wirtschaftspolitik beschweigt. „Gescheitert“ heißt sein Buch. Für gescheitert erklärt er u.a. die Globalisierung, Europa, die Wiedervereinigung und natürlich die Reformpolitik von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Nur ein Kernproblem aller keynesianischen Fiskalpolitik erwähnt Flassbeck mit keinem Wort: dass nämlich im Aufschwung noch niemals entsprechend der Keynesschen Empfehlung die Staatsverschuldung zurückgeführt wurde, die zuvor im Abschwung antizyklisch ausgeweitet worden war.

Stattdessen erfährt der staunende Leser, „dass Europa durch die Schaffung der Währungsunion zum ersten Mal die Chance hat, eine den USA vergleichbare kohärente und im Sinne von Wachstum und Beschäftigung erfolgreiche Geldpolitik zu betreiben“ (S. 78). Die EZB, meint Flassbeck anscheinend, hätte sich an Alan Greenspans lockerer Geldpolitik ein Beispiel nehmen sollen, die eine notwendige Voraussetzung der Subprime-Krise und der daraus folgenden globalen Verwüstungen gewesen ist. Das liest sich heute noch abenteuerlicher als vor einem Jahr.

Richtig ist wohl, was der Australier Steve Keen sagt, wie Flassbeck ein Kritiker der Neoklassik:  „Hätte Alan Greenspan im Jahr 1987 nicht ´rettend´ auf den damaligen Aktiencrash reagiert, so hätten wir damals eine reinigende Minidepression gehabt, die vergleichsweise leicht zu überwinden gewesen wäre. Da Regierung und Zentralbanken jedoch weitere 20 Jahre überzogenen Konsums auf Pump ´draufsattelten, ist das Verhältnis zwischen Schulden und Einkommen weiter auseinandergelaufen und der wirtschaftliche Rückschlag entsprechend groß.“

Wer weiterhin am Marxschen Imperativ hängt, wonach es gelte, „alle Verhältnisse umzustürzen, in denen der Mensch ein geknechtetes, beleidigtes und erniedrigtes Wesen ist“, stößt nicht nur bei Rechten, sondern leider auch bei Linken oft auf Dogmatismus statt Diskussionsbereitschaft.