Wie bei der „Zeit“ der Holocaust relativiert wird

Im Kampf gegen Thilo Sarrazin scheint der „Zeit“ jedes Mittel recht zu sein. Anders ist kaum zu erklären, dass auf der Homepage von „Zeit Online“ heute neben einem Foto von antisemitischen Progromen des Jahres 1938 der Titel des Sarrazin-Buches paraphrasiert wird, und zwar mit Hilfe eines Zitats („Schon damals fürchtete man, dass Deutschland sich abschafft“) des umstrittenen Berliner Historikers Wolfgang Benz.

„Sich mit dem Holocaust zu beschäftigen“, sagt Benz im Interview mit „Zeit“-Redakteur Christian Staas, „heißt für mich, zu fragen, wohin Diskriminierung führt. Jedes genozidale Geschehen beginnt mit der kategorialen Zuschreibung von Eigenschaften zu einer bestimmten Gruppe. Wir brauchen deshalb auch in Deutschland eine international vergleichende Genozidforschung. Wir müssen beschreiben, welche Mechanismen das Morden ermöglichen, wie die Opfergruppen zuvor ausgesondert und diffamiert werden.“

Auf die Frage des Redakteurs, ob auf diese Weise nicht der Holocaust verharmlost werde, antwortet Benz, dass der Vergleich eine legitime wissenschaftliche Erkenntnismethode sei und es ihm fernliege, den Holocaust zu relativieren. So weit, so gut.  Vergleichen ist in der Tat etwas anderes als gleichsetzen. Das Problem ist nur, dass Benz im weiteren Gesprächsverlauf doch wieder bei der Gleichsetzung landet:

Weiterlesen „Wie bei der „Zeit“ der Holocaust relativiert wird“

Das demografische Tabu

Zu den Überraschungen der letzten Wochen gehörte, wie viele glaubensfeste Teufelsaustreiber „Die Zeit“ in ihren Reihen hat, von A wie Assheuer bis U wie Ulrich.  Interessanterweise ist ihnen allen aber ein früherer Fall von Sarrazinismus durch die Lappen gegangen. Die verbotene „Stelle“ findet sich sogar unter dem Logo der ehrwürdigen Wochenzeitung selbst, nämlich bei „Zeit online“ vom 16. Februar 2010. „Zeit online“ hatte den ursprünglich im „Tagesspiegel“ veröffentlichten Artikel „Wenn Kinder ein Segen sind“ des Religionswissenschaftlers Michael Blume übernommen. Darin wird unverblümt die Frage aufgeworfen, ob Deutschland sich abschaffe:

„Freilich ist unklar, was vom heutigen Deutschland demografisch, kulturell, wirtschaftlich und politisch überleben wird. Unsere Bevölkerung schrumpft nicht nur, sie implodiert. Und Zuwanderung alleine ist keine Lösung.“

Wer sich in der Demografie ein wenig sachkundig gemacht hat, weiß zwar, dass diese Aussagen Michael Blumes (die Sarrazin so ähnlich formuliert) unbestreitbar sind. Doch wer mochte sich schon sachkundig machen?

Weiterlesen „Das demografische Tabu“

Hans-Ulrich Wehler: „Attacke gegen die Meinungsfreiheit“

Was Hans-Ulrich Wehler, der „bedeutendste Sozialhistoriker der Gegenwart“ (Die Zeit),  in Ausgabe 41/2010 der Hamburger Wochenzeitung über Sarrazins Buch und die Folgen schreibt, ist eine schallende Ohrfeige für Merkel, Wulff, Gabriel, Künast und ihre publizistischen fellow travellers:

„Das war im Kern eine von politischen Machtträgern derart massiv vorgetragene Attacke gegen die Meinungsfreiheit und das von offener Diskussion zehrende Gemeinwesen wie sie die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten noch nicht erlebt hat.“

Wehler ist nicht nur bedeutender Sozialhistoriker. Er ist auch nicht nur, wie Jürgen Kaube in der FAZ schreibt, „der privaten Gesinnung – nicht der Mitgliedschaft nach – Sozialdemokrat, sondern zusammen mit Jürgen Habermas derjenige Intellektuelle, der das sozialliberale Geschichts- und Gesellschaftsbild in den vergangenen fünfzig Jahren wohl am stärksten wissenschaftlich artikuliert hat.“ Wehler macht sich Sarrazins Aussagen zu Genetik und Erbintelligenz nicht zu eigen und hätte es angemessener gefunden, wenn Sarrazin in diesen Teilen im Konjunktiv formuliert hätte:

Weiterlesen „Hans-Ulrich Wehler: „Attacke gegen die Meinungsfreiheit““

Meinungsfreiheit? Wieso, er lebt doch noch…

Es ist alles gesagt, aber noch nicht von allen. So schreibt Robert Misik, dessen Rabulistik wir neulich schon mal bestaunten,  noch mal auf, „Warum es im Fall Sarrazin nicht um Meinungsfreiheit geht“.

„Kaum jemand konnte in den vergangenen Jahren seine Meinung mit derartiger medialer Unterstützung unter’s Volk bringen wie Thilo Sarrazin. Niemand will ihm dieses Recht nehmen. Wer aber so wie er rede, wird nun aber eingewandt, würde sofort ´öffentlicher Stigmatisierung´ ausgesetzt.“

So weit, so langweilig. Dann fällt Misik aber doch noch etwas Neues ein.  Denen, die in Sachen Sarrazin den Begriff der Meinungsfreiheit strapazierten, sei  vorzuhalten, dass Sarrazin noch lebe:

„Aber es ist nicht nur sachlich falsch, die Entwicklungen in der Causa Sarrazin mit dem hehren Begriff der ´Meinungsfreiheit´ zu verbinden. Es ist auch frivol, schamlos und eine Beleidigung all jener, die wirkliche Verfolgung leiden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen. Für das Recht, seine Meinung zu äußern, sind Menschen ins KZ gekommen, auch heute gehen in vielen Ländern Menschen für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung auf das Schafott. Herr Sarrazin dagegen darf seine Meinung nicht nur äußern, er darf das jetzt sogar ungehindert von allen beruflichen Ablenkungen tun und ihm wird seine Freiheit mit einer Pension von 10.000 Euro pro Monat versüßt. Demnächst hat er von seinem Buch eine Million Exemplare verkauft, wodurch ihm ein Honoraranspruch von schätzungsweise zwei Millionen Euro erwächst.“

Von Meinungsfreiheit darf erst reden, wer Todesängste ausgestanden hat? Oder im Kerker saß? Auf die monströse Idee, Auschwitz gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu instrumentalisieren, muss  man erstmal kommen. Im Übrigen verschweigt Misik, dass  Sarrazin sehr wohl um Leib und Leben fürchten musste und seit Wochen Personenschutz benötigte.

 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke haben Linke einst mit Recht argumentiert, die Springer-Presse, die zuvor wochenlang gegen langhaarige Studenten gehetzt hatte, habe  mitgeschossen. Wer wird mitgeschossen haben, falls Thilo Sarrazin (was wir nicht hoffen wollen) etwas passieren sollte?

„Es geht um Meinungsfreiheit“

Weissgarnix alias Thomas Strobl zitiert unter der Überschrift „Schirrmacher ist baff“ aus der heutigen FAS einen Beitrag Frank Schirrmachers . Schirrmacher wundert sich darin über die Bundeskanzlerin:

“Seit drei Wochen gibt es Sarrazins Buch. Es ist sechshundertfünfzigtausend Mal verkauft worden, und es wird wahrscheinlich vor Weihnachten die Eineinhalbmillionenmarke erreichen. Bei einem Buch, das verliehen und weitergegeben wird, heißt diese Zahl, dass es dann von an die zwölf Millionen Menschen gelesen worden sein kann. Es hat Vergleichbares noch niemals gegeben. Der Autor ist wegen der Buchkritik der Kanzlerin und des Bundesbankchefs und der Winke des Bundespräsidenten mittlerweile arbeitslos, gewiss das Maximum an Bestrafung in einer bürgerlichen Welt. Und jetzt, drei Wochen danach, erklärt die Bundeskanzlerin fast stolz, dass sie das Buch, um dessentwillen sie die Absetzung des Bankers betrieb und das ihr Staatsvolk zutiefst spaltet, immer noch nicht gelesen hat, sondern nur aus Vorabdrucken kennt. Es handelt sich dabei, wohlgemerkt, um Vorabdrucke, die von Gegnern des Buches gerade deshalb kritisiert werden, weil sie so harmlos waren (…)”

Die Meinung von Strobl und Schirrmacher teile ich oft nicht, auch die frühere Schirrmacher-Exegese des Sarrazin-Textes fand ich recht seltsam. Denn Schirrmacher spekulierte darüber, was Sarrazin zwar nicht geschrieben hat, aber eigentlich hätte schreiben wollen. Aber wenn Strobl heute Schirrmacher zustimmend mit der Aussage zitiert

“Und deshalb geht es bei der Sarrazin-Debatte im Kern mittlerweile um nichts anderes als die Meinungsfreiheit”

dann gehe ich damit d´accord. Die teilweise so wüsten wie unqualifizierten Kommentare in seinem eigenem Blog – vielfach von Leuten, die das Buch offensichtlich auch nicht gelesen haben – kann Weissgarnix dabei durchaus als weitere Bestätigung seiner These nehmen.

Merkel, Gabriel, Wulff sowie die selbstgefälligen Blockwarte der political correctness in den Medien werden an ihrem Versagen in dieser Sache noch in Jahren und Jahrzehnten gemessen werden. Die Vernünftigen in diesem Land werden – hoffentlich – verhindern können, dass wirkliche Rassisten am Ende aus dem Buch des angeblichen Rassisten Kapital schlagen können.

Generell verlaufen die politischen Trennlinien, wie Sarrazin zu Recht feststellt (S. 101 f),

„nicht längs der Parteigrenzen oder nach dem klassischen Links-Rechts-Schema. Sie verlaufen vielmehr zum einen zwischen denen, die kurzfristig und jenen, die langfristig denken, und zum anderen zwischen jenen, die Veränderung eher als externes Ereignis und jenen, die Veränderung als Gestaltungsaufgabe auffassen.“

 Machen wir uns nichts vor: Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden schwieriger werden, und wirtschaftliche Bedrückung bildet meistens den Humus für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Beides bekämpft man am besten, wenn man Sarrazins Vorschlag (S. 326) folgt und an Einwanderer eine klare Erwartungshaltung formuliert: Ihr seid willkommen. Wenn ihr unsere Sprache lernt,  euren Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, Bildungsehrgeiz für eure Kinder habt!

Der traurige Robert und die Doppelmoral

Robert Misik, ein linksgerichteter österreichischer Journalist, beschimpft Thilo Sarrazin als „Großmeister der Implausibilitätsmathematik und Intelligenzgen-Eugenik“. Dumm nur, dass  Misik im Jahre 2006 selbst einen Artikel zur Frage „Haben die aschkenasischen Juden ein Intelligenz-Gen?“ in der taz veröffentlicht hatte.  Darin hieß es:

„Es ist eine verstörende Eigenart der neuesten Naturwissenschaften: Ihre Erkenntnisse sind eine knifflige Herausforderung an die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Leider eine, die man einerseits nicht mehr so leicht abtun kann (als „biologischen Obskurantismus“ etwa), deren reale Bedeutung sich andererseits auch nicht ganz einfach beurteilen lässt, handelt es sich doch meist um Forschungsergebnisse auf hoch spezialisierten und recht hermetischen wissenschaftlichen Feldern.“

Dann referierte Misik ausführlich neuere genetische Forschungen aus den USA:

„Genetiker von der Universität Utah wollen nun nachgewiesen haben, dass die aschkenasischen (also die europäischstämmigen) Juden über ein eigenes ´Intelligenz-Gen´ verfügen. Ihre These ist gut vorgetragen: Ein großer Teil der aschkenasischen Juden leidet an einem Gen-Defekt. Das ist zunächst nicht sensationell, sondern kommt häufig vor in Gemeinschaften, die jahrhundertelang eine geschlossene Gemeinschaft bilden (heute würde man ´Parallelgesellschaft´ sagen) und fast ausschließlich untereinander heiraten. Dieser Defekt ist für einige Krankheiten verantwortlich, die nur bzw. außergewöhnlich oft bei aschkenasischen Juden auftreten. Die Forscher stellten sich danach die Frage, warum ein solches Gen in der Evolution überlebte, wenn es doch nur Nachteile hat – dies würde ja dem genetischen Basisprinzip des Survival of the fittest widersprechen.

Ihre Hypothese ist, dass, wie bei anderen Gendefekten auch, das mutierte Gen sowohl Vorteile als auch Nachteile hat – und deswegen evolutionär überdauert, weil Erstere überwiegen. Sie glauben, dass dieses Gen für den aschkenasischen Intelligenzvorteil sorgt und für eine Gruppe, die jahrhundertelang in Europa von Grundbesitz und Macht ausgeschlossen war und in Händler- und Bankerberufe gedrängt wurde, ein besonderes Plus darstellte. Wissenschaftlich exakt beweisen lässt sich das nicht, aber es gibt immerhin ein paar Evidenzen, die die These stützen: So quellen die Kliniken, die die Aschkenasi-Krankheiten behandeln, förmlich über von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Rechtsanwälten.“

Und danach schloss Misik damals mit den Worten:

„All das klingt verdammt nach hanebüchener Eugenik, ist aber leider wissenschaftlich nicht unprofund. Der britische Economist widmete den ´Naturgenies´ eine große Story, die New York Times sowieso, im US-Magazin The New Republic zweifelt man kaum mehr daran, dass die Thesen der Wissenschaftler stimmen – dort fragt man sich schon, was daraus folgt, etwa für das Prinzip von der Gleichheit der Menschen. Und jüdische Autoren sorgen sich um den Nachwuchs: Wenn der sich darauf verlässt, genetisch zu den Klugies zu gehören, dann strengt er sich künftig womöglich nicht mehr an.“

Ich verstehe nichts von Humangenetik. Ich finde es aber traurig, dass Robert Misik heute so tut, als hätte er nicht – genau wie Thilo Sarrazin – Ergebnisse aus der Forschung referiert. Dass er heute Sarrazins Fürsprecher als „Freunde der neueren Intelligenzeugenik“ schmäht, um sich dann irgendwo zwischen Häme und Hilflosigkeit zu verheddern:

„Nun, da unsere Freunde der neueren Intelligenzeugenik offenbar ihre Schwierigkeiten mit dem sinnerfassenden Lesen haben, müssen wir hier ein bisschen Nachhilfe geben.

Offenbar können sie zwischen einer originellen wissenschaftlichen Hypothese, die sich auf auffällige Korrelationen stützt, und wissenschaftlichen Fakten, die auch Kausalitäten erklären können, nicht unterscheiden. Zwischen einer Möglichkeit und einem Faktum ist schon ein Unterschied, oder?“

Wissenschaftliche Fakten erklären Kausalitäten und stechen auf diese Weise auffällige Korrelationen aus, die bloß Hypothesen zu stützen vermögen, soso.  Schade, dass Sir Karl Popper nicht mehr miterleben kann,  wie furios heute  in seiner Geburtsstadt Wien die wissenschaftstheoretische Büttenrede  gepflegt wird.

Im Ernst: Warum ist eigentlich Fairness gegenüber dem politischen Gegner so schwierig? Warum kann Robert Misik nicht einfach sagen, dass er Sarrazins Aussagen über den Islam zwar falsch und politisch verheerend finde, dass Sarrazin aber wegen seiner Aussagen über das Judentum von den Franz Josef Wagners dieser Welt zu Unrecht angegriffen worden sei?

Wer fliegt alles aus der SPD?

Die SPD-Führung und ihr (vermutlich unaufgefordert tätiger) Berater Michael Spreng  irren oder heucheln, wenn sie Thilo Sarrazin wegen gewisser bevölkerungspolitischer Äußerungen des unsozialdemokratischen Denkens bezichtigen, um ihn aus der Partei werfen zu können. 

Die Wahrheit ist nämlich, dass in allen Parteien seit einigen Jahren nicht nur über die niedrige Geburtenzahl, sondern durchaus auch über die Verteilung der Geburten auf  soziale Schichten  diskutiert wird.  Ein scharfer Kritiker dieser Diskussion wie Andreas Kemper bezeichnet das Elterngeld sogar als „sozialeugenische Maßnahme“ und schreibt zur Begründung:

„Sowohl die Architektin des Elterngeldes, die sozialdemokratische ehemalige Familienministerin Renate Schmidt, als auch die Bundeskanzlerin Merkel, betonen, dass es beim Elterngeld darum geht, die Zahl der Akademikerkinder zu erhöhen.“

Tatsächlich:  „Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung…“ , hieß es schon 2001 in einem sozialdemokratischen Papier. Renate Schmidt, Familienministerin von 2002 bis 2005, veröffentlichte damals Überlegungen zur  „Familienpolitik für das 21. Jahrhundert“ . Darin hieß es über Vorschläge von  CDU/CSU-Vertretern  zu einem Erziehungsgehalt:

„Außerdem muss auch noch einmal problematisiert werden, für wen solche Konzepte attraktiv sind. Es sind vor allem die Familien mit den niedrigsten Einkommen. Kinderreichtum (3 Kinder und mehr) tritt schon heute in einem schmalen Bereich am oberen Ende der Einkommensskala und vor allem am unteren Ende auf. Mittelschichtfrauen beschränken sich aus den geschilderten Gründen auf 0-2 Kinder.

Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung und muss um so kritischer gesehen werden, wenn Erziehungsgehaltkonzepte davon ausgehen, dass Familien Kinderbetreuungseinrichtungen bei Inanspruchnahme des Erziehungsgehaltes nicht wahrnehmen oder deutlich teurer als bisher bezahlen müssen.“

Wie viele Genossinnen und Genossen wollen Gabriel und Nahles eigentlich ausschließen? Und wie viele Wähler veräppeln?

 

Der große Lümmel greint

Sarrazin ist binnen zweier Wochen zum „Volkshelden“ (Spiegel) geworden. Warum? Weil er  zur Wahrheit, wie er sie sieht, kein taktisches Verhältnis hat. Dafür lieben ihn die Leute. Damit unterscheidet er sich von all den Schlaumeiern des politisch-publizistischen Komplexes, die sich klug dünken und in der Tat oft auch hochintelligent sind, deren Finten aber „das Volk, der große Lümmel“ (Heinrich Heine)  satt hat.

Ein vielleicht typischer Repräsentant dieser neunmalklugen politisch-publizistischen Funktionselite ist Michael Spreng, einst Chefredakteur der Bild am Sonntag, Wahlkampfleiter von Stoiber, Berater von Rüttgers, Redaktionsleiter von Maischbergers Talk-Show. Zwei Kostproben seiner vermeintlichen Cleverness lieferte Spreng im Fall Sarrazin.

Erstens gehört er zu denen, die besonders laut bestreiten, dass die Causa Sarrazin mit Meinungsfreiheit etwas zu tun habe. Denn,  sagt Spreng,  „kaum einer durfte in den letzten Jahren den Mund so weit aufreißen wie Thilo Sarrazin.“ Doch die Leute sind nicht so dumm wie Spreng zu glauben scheint. Nach seiner Logik hätte auch die Verfolgung Kurt Westergaards oder Salman Rushdies durch islamistische Fanatiker mit Meinungsfreiheit rein gar nichts zu tun.  Denn die beiden genossen ja sogar noch mehr Publizität als Sarrazin.

Zweitens fand er im 450-Seiten-Wälzer Thilo Sarrazins zielsicher die Stelle, mit der Sigmar Gabriel öffentlichkeitswirksam gegen Thilo Sarrazin punkten könne. Spreng schreibt:

“ Wer sich selbst seiner nicht sicher ist, dies auch noch öffentlich demonstriert, der überzeugt keine Wähler.

Umso unverständlicher ist, dass die SPD in der öffentlichen Diskussion nicht die 50.000-Euro-Trumpfkarte spielt. Sarrazin will Akademikerpaaren, die unter 30 ein Kind bekommen, 50.000 Euro Prämie zahlen. Damit steht er in fundamentalem Gegensatz zur Aufstiegsphilisophie der SPD: Aufstieg durch Bildung. Sarrazin dagegen will aus seiner kruden Sicht von vererbbarer Intelligenz nur die Aufstiegsgewinner belohnen. Verkäuferinnen, AOK-Angestellte, Busfahrer, Facharbeiter sollen leer ausgehen. Geld gibt’s nur  für Akademiker.“

Das veröffentlichte Spreng am Mittwoch letzter Woche, einen Tag später spielte Gabriel prompt in der Illner-Talkshow die vermeintliche Trumpfkarte. Thilo Sarrazin liegt hier auch nach meiner Ansicht völlig daneben. Sein Vorschlag ist blödsinnig. Er leitet sich daraus ab, dass Sarrazin die angeborene Intelligenz überschätzt. Nur geht es hier nicht um die Hauptbotschaft des 450-Seiten starken Sarrazin-Wälzers, sondern um eine eher unbedeutende Randnotiz.

Eine ernsthafte, intellektuell redliche Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazin, das zeigen diese Beispiele, ist vom Berliner politisch-publizistischen Komplex nicht beabsichtigt.  Einer,  der „Niedergang“ sagt anstelle des politisch korrekten Neusprechs vom „demografischen Wandel“,  einer, der statt geschönter Statistiken die echten Zahlen präsentiert, einer, der statt in Legislaturperioden in Generationen denkt, so einer soll als Schmuddelkind ausgegrenzt und in die Ecke gestellt werden.

Aber das Volk, der große Lümmel, fängt an zu greinen. Und das ist gut so.

Meinungsfreiheit

Für Bundesbank und Bundespräsidenten ist die Causa Sarrazin beendet. Im Gegenzug dankt die Bundesbank jählings dem Störenfried für seine Leistungen. Siegmar Gabriel betreibt aber weiter den SPD-Ausschluss und raunt in der gestrigen Illner-Talkshow andauernd dunkel über „Menschenbild“ und „Eugenik“, ohne auch nur ein einziges Mal präzise zu sagen, woran er erkennen könne, dass sein langjähriger Parteifreund plötzlich zum Rassisten mutiert sei. Wie sehr Gabriel seine Fähnchen nach dem Wind hängt, ist daran zu erkennen, dass er  Sarrazin nach Sichtung neuer Umfragewerte in Sachen Integration und Migration nun Recht gibt.

Berthold Kohler kommentiert in der FAZ zu Recht:

„Die Botschaft für Sarrazin, aber auch andere potentielle Abweichler vom politischen Mainstream, die Sarrazins der Zukunft, ist klar: Wer solche „überhaupt nicht hilfreichen“ Bücher schreibt, muss sich auf politische und gesellschaftliche Ächtung gefasst machen. Letzteres hat in Sarrazins Fall, sehr zur Enttäuschung und Überraschung seiner Scharfrichter, nicht mehr ganz funktioniert. Aber auch Sarrazin braucht Polizeischutz. In Potsdam wollten Künstler, gewöhnlich große Freunde der Kunst- und Meinungsfreiheit, nicht mehr ihre Bühne betreten, wenn Sarrazin auf ihr seine Thesen verteidigen dürfe. Die Freiheit der Andersdenkenden war einmal. Auch Voltaire scheint in Potsdam und Berlin nicht mehr häufig gelesen zu werden.

Das ist das Metathema, das den Erregungspegel des Volkes im Fall Sarrazin hoch hält: Was darf man in dieser Republik sagen und schreiben, ohne die mitunter bis zur Existenzgefährdung reichende „Menschenverachtung“ zu erfahren, die Sarrazins Kritiker nur bei ihm erkennen können? Und wer bestimmt die Grenzen des Meinungskorridors? Beides war jahrzehntelang geklärt: Die Linke in Politik und Publizistik zog die roten Linien, von der Ausländerpolitik bis zur Vergangenheitsbewältigung. Hinter dem autoritären Gebaren der Antiautoritären zeigt sich ein tiefes Misstrauen dem Urteilsvermögen des Volkes gegenüber.“

Kohler hat Recht. Viele Antiautoritäre von gestern sind Autoritäre von heute geworden. Wer ihre Denk- und Sprechverbote nicht beachtet, wird ohne einen Hauch von Empathie gnadenlos niedergemacht,  mit unfairen Mitteln.  Sie spüren allerdings, dass ihre Kräfte langsam nachlassen, ihre kulturelle Hegemonie schwindet, ihre Schweigespirale nicht mehr so gut wie früher funktioniert. Das macht sie noch aggressiver. 

Welchen Grund  gibt es eigentlich,  autoritären Kleingeistern immer noch ehrenvolle Benennungen wie „links“ oder „linksliberal“ zu gewähren?

„Jüdische Diaspora genetisch bestätigt“, schrieb die „Jüdische Allgemeine“

Erst rückte der offenbar verwirrte Außenminister Guido Westerwelle  Thilo Sarrazin in die Nähe des Antisemitismus,  Franz Josef Wagner kartete in BILD nach  („scheiße,  beschämend, widerlich“), und Michel Friedman gab sich so aggressiv , dass man befürchten konnte,  er sei auf Koks. Das ist schon ein paar Tage her. Inzwischen hat Sarrazin dazu Stellung bezogen.  Andere, wie z.B. Josef Joffe  haben den Antisemitismusverdacht mit den treffenden Argumenten als absurd zurückgewiesen – Näheres hier.

Wer Sarrazin jetzt immer noch des Antisemitismus beschuldigt,  ist entweder begriffsstutzig oder böswillig.  Er sei auf einen von Sascha Karberg in der „Jüdischen Allgemeinen“ veröffentlichen Artikel vom Juni dieses Jahres  verwiesen.  Unter der Überschrift „Abrahams Kinder“ schrieb Karberg über eine Kontroverse unter Historikern in Israel. Einer von ihnen habe gemeint, es könne Folgen für die Legitimation des Staates Israel haben,  wenn sich herausstellte, dass das über die Welt verstreute jüdische Volk gar keine gemeinsamen genetischen Wurzeln im Nahen Osten hätte.

Karberg schreibt:

„Aber wie sollte sich eine solche Frage durch das Studium schriftlicher Überlieferungen und interpretationsbedürftiger archäologischer Ausgrabungen beantworten lassen? Jetzt springt den Historikern die Genforschung bei. Zwei Forschergruppen haben unabhängig voneinander Proben aus dem Erbgut hunderter Juden aus verschiedenen Regionen Europas, Asiens und Afrikas auf Verwandtschaftshinweise untersucht und mit Proben der benachbarten nichtjüdischen Volksgruppen der jeweiligen Regionen verglichen – und können die mythische Diaspora nun naturwissenschaftlich bestätigen. “

Und:

„Der Beginn der Diaspora lässt sich anhand der genetischen Spuren auf vor etwa 2.500 Jahren terminieren. Damit bestätigen die Forscher die in der jüdischen Mythologie beschriebene Diaspora. Demnach sind nach der Zerstörung des jüdischen Staates durch den babylonischen König Nebukadnezar 586 v.d.Z. die Stämme Israels zunächst nach Babylon und Ägypten und dann über die Welt zerstreut worden. Ihre gemeinsame Abstammung blieb dabei in erstaunlichem Maße im Erbgut erhalten, obwohl die Stämme während der Jahrhunderte weitgehend isoliert voneinander blieben. Dazu trug wohl auch bei, dass es verhältnismäßig wenig Genaustausch mit den jeweiligen Nachbarn gab – sei es nun durch Ausgrenzung oder kulturelle Isolation.“

Also:  Sarrazin ist selbstverständlich kein Antisemit. Ein Juden-Gen gibt es  entgegen seiner Formulierung im Interview mit der Welt am Sonntag  zwar nicht. Aber neueste Forschungen bestätigen die gemeinsamen genetischen Wurzeln der Juden – und in Israel ist man offenbar recht froh darüber.

Jerusalem Post sieht „eine bizarre Welle anti-intellektueller Hysterie“ in Deutschland

Benjamin Weinthal  schrieb am 2. 9. einen Kommentar für die Jerusalem Post, in dem es u.a. heißt:

„The furor associated with Sarrazin’s book has led to a bizarre wave of anti-intellectual hysteria, triggering leading German politicians and journalists to trash Germany Abolishes Itself without having read it. A bookstore in Hildesheim, 30 km. southeast of Hanover, announced the cancellation of Sarrazin’s first public reading on Thursday due to “security concerns” in connection with a group called ´Alliance against the Right.´“

Es ist  keineswegs so, dass der Ruf der Bundesbank in aller Welt steigt, wenn Thilo Sarrazin wegen seines Buches gefeuert wird. „The efforts to silence him and prevent a debate about his book seem to prove his thesis correct“, meint Weinthal in der Jerusalem Post.