Konsum ist die neue Leistung (2)

Dass manche Journalisten, durch den Vulgärkeynesianismus verwirrt, zwischen der Angebots- und Nachfrageseite der Wirtschaft nicht mehr unterscheiden können und uns daher im Schlaraffenland wähnen, hatte ich vor einiger Zeit hier schon einmal festgestellt. Mittlerweile hat sich die Verwirrung offenbar viral weiter ausgebreitet und sogar den Finanzteil der FAZ infiziert.

Unbenannt

Im Devisenmarktbericht vom 5. Juni 2013 erfährt der staunende Leser, dass in den USA „Verbraucher den Löwenanteil zur Wirtschaftsleistung beitragen“.

Feine Sache, der Fortschritt: Früher spuckte man in die Hände, um das Sozialprodukt zu steigern, heute reicht es zu shoppen -:)

Vermögen. Mal so, mal so.

Manchmal kennt der FR-Journalist Robert von Heusinger die Vermögensverteilung „im Westen“ ganz genau, sogar zu verschiedenen Zeitpunkten. Das klang vor zwei Jahren so:

„Den Reichen und den Firmen im Westen geht es so gut wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vermögensverteilung ist wieder da, wo sie zu Beginn der großen Krise in den 30er-Jahren war.“

Dann wieder ist Vermögen für Robert von Heusinger ein Mysterium. Genauer gesagt, ist dies dann der Fall, wenn Ergebnisse einer aktuellen Vermögensstudie der EZB sich partout nicht seinem Weltbild fügen mögen. Das klingt dann so:

 „Man muss diese Zahlen einordnen, weil Vermögen eine volkswirtschaftliche Kategorie ist, die unglaublich schwierig zu fassen ist. Um ehrlich zu sein: Es gibt keine gesamtvolkswirtschaftliche Bilanz aller finanziellen, materiellen und immateriellen Güter.“

Eine volkswirtschaftliche Gesamtbilanz liefert die amtliche Statistik sehr wohl, wie hier nachzulesen ist. Doch das nur nebenbei. Die Bewertung diverser Aktiva und Passiva, da hat der FR-Redakteur völlig Recht, ist in der Tat „unglaublich schwierig“. Erstaunlich nur, dass gleichwohl der Schwierigkeitsgrad für ihn volatil wie der Bitcoin-Kurs zu sein scheint.

Auch der grüne Europa-Abgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold hat mit der EZB-Studie ein Problem. Er findet den Vermögensbegriff der Studie zu eng und schreibt:

„Vermögensgleiche Rechte wie die Forderungen aus Renten- und Sozialversicherungen und andere staatliche Leistungen, wie beispielsweise der Zugang zu kostenloser Bildung, wurden nicht in das Vermögen eingerechnet. In Deutschland trägt das Sozialsystem aber maßgeblich zum hohen Lebensstandard der BürgerInnen bei. Darüber hinaus ist in Deutschland die Notwendigkeit, Vermögen zum Schutz vor Notlagen und zur Altersvorsorge aufzubauen, aufgrund des gut ausgebauten Sozial- und Rentensystems geringer als in anderen europäischen Ländern.“

Da sehe ich Sven Giegolds Parteichefin Claudia Roth schon vor meinem inneren Auge, wie sie in Berlin eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen mit dem neuen grünen Vermögensbegriff vertraut macht. Und anschließend der Presse erklärt, dass es mit der Ungleichverteilung des Vermögens in Deutschland nach der neuen Giegoldschen Rechnung  nicht annähernd so schlimm sei, wie sie früher geglaubt habe.

Sozialreportage mit eingebautem Dementi

„Tod in der Fabrik: Der Preis für billige Kleidung“ heißt die Reportage, die Panorama am 6. Dezember zeigte.

NDR-Reporter Christoph Lütgert klagt darin über niedrige Sozialstandards und fehlenden Arbeitsschutz in asiatischen Textilfabriken. Dabei setzt er sich in Szene mit Apple-Gadgets (Mac Book Air, iPhone) aus asiatischen Elektronikfabriken, über deren niedrige Sozialstandards und fehlenden Arbeitsschutz oft geklagt wird.

Zum Beispiel hier und hier.

MacBookAir

iPhone
Der Reporter und seine Produkte „Made in China“: Sceenshots aus Panorama-Reportage vom 6. Dezember 2012

Heißluftjournalismus. Ein Gedankenarmutsbericht

Es beginnt mit dem Artikel “Bundesregierung schönt Armutsbericht” von Thomas Öchsner bei süddeutsche.de. Öchsner, der einst Politologie in Marburg studiert hat, ist heute Berliner Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und laut Redaktion “vor allem für das Arbeits- und Wirtschaftsministerium zuständig”. Sein Artikel wird am Mittwoch, 28.11. in den frühen Morgenstunden bei süddeutsche.de freigeschaltet.

Öchsner vergleicht darin einen im Internet bereits veröffentlichten Armutsberichts-Entwurf aus dem Arbeits- und Sozialministerium vom September diesen Jahres mit einer aktuellen, nicht veröffentlichten Fassung vom 21. November, die, so Öchsner, der Süddeutschen Zeitung vorliege und den die Bundesregierung noch in diesem Jahr verabschieden wolle.

Weiterlesen „Heißluftjournalismus. Ein Gedankenarmutsbericht“

Konsum ist die neue Leistung

Welche Verwirrung der Vulgärkeynesianismus manchmal anrichtet, lässt sich in der Jahresendausgabe des Spiegel besichtigen. In einer Konjunkturgeschichte des Wirtschaftsressorts („Europas Musterknabe“) stößt der Leser auf folgende Passage (S. 23), für die gleich vier Verfasser verantwortlich zeichnen:

„Der private Verbrauch spielt in den USA eine viel gewichtigere Rolle als in Europa. Mehr als 70 Prozent der Wirtschaftsleistung gründet auf dem Konsum.“

Wenngleich die kreislauftheoretische Bedeutung aller Nachfrageaggregate unbestreitbar ist, verhält es sich selbstverständlich genau umgekehrt: Konsum gründet sich auf wirtschaftliche Leistung. Außerhalb des Schlaraffenlandes jedenfalls.

Es handelt sich bei der Passage im Spiegel nicht um eine vereinzelte Sprachschlamperei, sondern um einen im linksliberalen Milieu verbreiteten systematischen Denkfehler. So gab zum Beispiel der Journalist Wolfgang Michal kürzlich in seinem Blog hinsichtlich einer anderen konsumfreudigen Volkswirtschaft folgendes zum Besten: 

„Denn Griechenland hat keine wettbewerbsfähige Industrie, keine nennenswerte Forschung, keine ´Exzellenzcluster´. Im Gegensatz zu anderen (exportstarken) europäischen Volkswirtschaften ist das Land vor allem auf den privaten Konsum angewiesen – er macht über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.“

Hey, liebe Freunde, dann ist ja alles in Butter. Griechen und Amerikaner werden mit ihrer eindrucksvollen Konsumleistung im neuen Jahr die Weltwirtschaft retten.

Euromantische Nebelwerfer

„Die Wall Street greift an“ verkündet die  „Zeit“ heute reißerisch im Boulevardstil auf ihrer Titelseite. Wer dann in den entsprechenden Beitrag des Wirtschaftsteils schaut, findet zum angeblichen Angriff der „bösen“ Wall Street auf den „guten“ Euro – nichts.

Außer diesem wirklich lustigen Hinweis (Hervorhebung von mir):

 „Die Geldgeber haben ihr Urteil bereits gefällt. Sie ziehen aus vielen Ländern ihr Kapital ab. Vom `Angriff der Wall Street´auf den Euro ist die Rede, von den unerbittlichen Finanzmärkten, die nach Griechenland, Irland, Portugal und Spanien nun auch Italien ´auf Korn´nähmen. Von den amerikanischen Großbanken, die den Euro schwächen wollten, damit der Dollar weiter die Devisenmärkte dominieren könne. Es sind auch Europas Politiker, die die Botschaft unters Volk streuen. Seht her, wir unternehmen doch alles, um unsere Währung zu retten, soll das heißen – und es sind die Spekulanten, die alles zerstören.“

Und die sich seriös gebende „Zeit“  salviert auf ihrer Titelseite das  Haltet-den-Dieb-Geschimpfe der Politiker gegen die „Spekulanten“,  das vom Versagen der Politik ablenken und die Bevölkerung auf weitere Notopfer zur „Eurorettung“ einschwören soll.

Wer die „Spekulanten“ in Wirklichkeit – auch – sind, offenbarte am letzten Montag Peter Schneider, Aufsichtsrat der von Politikern kontrollierten Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), im Interview mit dem Handelsblatt. Auf die Frage, ob die LBBW Griechenland-Anleihen abstoße, erläuterte Schneider: „Das erfolgt im Moment in jedem Haus. In jedem Aufsichtsrat wird gefragt: Habt ihr Griechenland-Anleihen? Warum verkauft ihr nicht.“

Schuldenabbau hat noch gar nicht begonnen

Im Januar 2010 hatte McKinsey Global Institute  „Debt and Deleveraging“ veröffentlicht, eine bemerkenswert klare, 94-seitige Studie über „die globale Kreditblase und ihre ökonomischen Folgen“. Ein komplettes Update ist für den Herbst angekündigt, ein paar wichtige Daten wurden schon jetzt fortgeschrieben – siehe die Grafik unten.

Die Grafik zeigt, wie sich die Gesamtverschuldung der inländischen Sektoren (Privathaushalte, Unternehmen, Finanzsektor und Staat) in Relation zum BIP während der letzten beiden Jahrzehnte entwickelt hat. Unschwer ist zu erkennen, dass die großen früh industrialisierten Länder bis 2008 den „Pumpkapitalismus“ (Ralf Dahrendorf) in einem für Friedenszeiten bis dato nicht bekanntem Maße vorantrieben. Seit 2008 ist  die Schuldenquote in den meisten Ländern nicht im bisherigen Tempo weiter gestiegen. Ein nennenswerter Schuldenabbau wurde aber auch nicht erreicht. Vielfach wurde bloß umgeschichtet – der Staat sprang für die Privaten in die Bresche. Einen Sonderfall bilden offenbar die Franzosen, die nach Lehmann noch geraume Zeit weiter in die Schuldenfalle gerannt sind. Wer weiß, ob nicht  Jean-Claude Juncker und die anderen Euroretter demnächst mit der Feuerpatsche Großbrände auf der anderen Rheinseite zu löschen versuchen.  Entschuldungsprozesse, sagen die McKinsey-Leute, seien stets sehr schmerzhaft und historische Erfahrung lehre, dass es sechs bis sieben Jahre dauere, die Gesamtschuldenquote um ein Viertel abzusenken.

Aber bei uns soll ja nun – Spaß muss sein –  in Erwartung der nächsten Bundestagswahl erst mal ein  Rettungsschirm für die FDP gespannt werden, auch wenn 70 Prozent der Bevölkerung das ziemlich bescheuert finden.

Mitten im Aufschwung finden unsere famosen Patentliberalen es völlig ausreichend, wenn die Neuverschuldung – ja wir machen noch immer viele Milliarden Neuschulden! – ein bisschen niedriger ausfällt als vor einiger Zeit erwartet.  Sie wollen Steuern senken, ohne Ausgaben zu kürzen, also ein Wahlgeschenk auf Pump machen, obwohl die deutsche Staatsschuldenquote schon gut 20 Prozentpunkte über der Maastricht-Grenze liegt.

So müssen Haushaltskonsolidierung und staatlicher Schuldenabbau halt noch ein bisschen warten. Wer den FDP-Generalsekretär gestern im Stile eines leicht übermotivierten Fähnleinführers im Fernsehen zum Steuerthema argumentieren hörte, konnte sich fast schon seinen Ex-Chef Westerwelle zurückwünschen.

Die Politik der Wanderblasen

Medien und Politiker wollen uns immer noch weismachen, gierige Bonusbanker hätten ganz allein die Weltwirtschaft ins Unglück gestürzt. In Wirklichkeit führt jedoch das Wachstums-Mantra der Politik die hochentwickelten Ländern  immer tiefer in den Schlamassel. Das zeigen Andreas Hoffmann und Gunther Schnabl in einem lesenswerten Beitrag über Geldpolitik und wandernde Blasen, der jetzt in in der Ökonomenstimme veröffentlicht wurde.  Hoffmann und Schnabl argumentieren, dass die Zentralbanken seit Jahrzehnten im Abschwung mit starken Zinssenkungen reagieren, im Aufschwung aber nur zögerlich die Zinsen anheben. Die Geldpolitik ist daher asymmetrisch, ähnlich wie die Fiskalpolitik auch. Der Zinstrend zeigt seit 1980 nach unten.  Beide, Geld- und Fiskalpolitik, werden asymmetrisch eingesetzt – weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Das Wirtschaftswachstum darf nicht enden, nie und nimmer. Nicht mal, wenn die Bevölkerung schon schrumpft. Wahnsinn mit Methode eben.

Quelle: Andreas Hoffmann/Gunther Schnabl, Auf eine Blase folgt eine Blase folgt eine Blase

 

Die Zinsabsenkung führt seit Jahrzehnten zu zyklischen Überinvestitionskrisen. Und wenn die Geldpolitik beim Nullzins angekommen ist, muss die Fiskalpolitik ran – notfalls wird Geld gedruckt.  Asymmetrische Geld- und Fiskalpolitik (die sich zu Unrecht teilweise auf Keynes beruft) produziert seit Jahrzehnten globale Wanderblasen in wechselnden Assetkategorien. Die asymmetrische Geldpolitik in Reaktion auf Krisen erleichtere zwar die Rückzahlung von Krediten durch die Krisenopfer, schlussfolgern die Autoren.

 „Doch die Kosten von nationaler Krisen werden in Form höherer Finanzmarktvolatilität und zukünftiger Inflation verschoben, verschleiert und willkürlich verteilt. Wir empfehlen deshalb auf Grundlage der Theorien von Mises, Hayek und Minsky, die Abkehr von der sehr expansiven und asymmetrischen Geld- und Finanzpolitik, auch wenn diese schmerzhaft ist. Denn bringen die Zentralbanken den erforderlichen Mut zum Ausstieg nicht auf, ist die jüngste griechische Tragödie nur ein Meilenstein auf einer langen Schleife Boomphasen, Krisen und monetären Rettungsaktionen, die uns unweigerlich in eine Welt von Inflation und Stagnation führen wird.“

Schrumpft Facebook?

Facebook hat bestätigt, dass es in einigen Ländern nicht mehr wächst. Wenn man sich allerdings die Daten aus Googles Ad Planner für Deutschland ansieht (Grafik unten), ist das womöglich eine Beschönigung. Danach schrumpft nämlich das Netzwerk – wenn nicht nach registrierten Nutzern, so zumindest nach Intensität der Nutzung: Die Zahl der täglichen Besucher ist im April 2011 niedriger als im Januar. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum hatte es dagegen noch ein strammes Wachstum gegeben.

Besucher von facebook.com aus Deutschland laut Ad Planner

Sicher, die wenigen Werte am aktuellen Rand verdienen zunächst mal eine vorsichtige Interpretation. Vielleicht sind es ja Ausreißer. Möglicherweise hat aber auch die Facebook-Müdigkeit, die  irgendwann zu erwarten war, jetzt bereits eingesetzt. Auch Realisten wie Becker/Joerges, die mit Social Media Geld verdienen, rechnen mit einer Abkühlung des Hypes entsprechend dem Gartner-Modell:

„Demnach sind wir gerade am ´Peak of Inflated Expectations´ bzw. dem ´Gipfel der überzogenen Erwartungen. Bitter, aber vermutlich Realität, denn demnächst wird es via ´ Tal der Enttäuschungen´ zum ´Pfad der Erleuchtung´ gehen um letztendlich dann doch auf dem ´Plateau der Produktivität´ zu landen. Wir wissen nicht, wie sich das in realen Nutzerzahlen niederschlagen wird, klar ist nur eines: Es wird rapide bergab gehen, um sich irgendwann auf einem realistischen Level einzupegeln.“

Das klingt  plausibel, allerdings kann das einzelne Social Network auch noch wesentlich tiefer stürzen,  wie man etwa  bei StudiVZ beobachten kann (siehe Grafik). Von einer Sympathiewelle wird Facebook in Deutschland offensichtlich nicht getragen. Schon gar nicht nach der neuesten Attacke auf die  „Fressefreiheit“ . Glaubt man einer Imageanalyse des Kölner Unternehmens YouGov Psychonomics, so bewegen sich die Imagewerte der Marke Facebook mit -7 BrandIndex-Punkten deutlich im negativen Bereich. Andere Online-Marken wie Google oder Amazon erreichen mit mehr als 80 Brandindex-Punkten ungleich bessere Werte. Die BrandIndex-Skala reicht von -100 bis +100 Punkten.

Besucher von StudiVZ aus Deutschland gemäß Ad Planner

Wie Zielgruppen nach dem Muster der 16-jährigen Tessa aus Hamburg-Bramfeld mit ihren 1.500 via Facebook akquirierten angeschickerten Partygästen jemals genug Werbeerlöse einspielen sollen, um die Bewertung des Unternehmens von 100 Milliarden Dollar zu rechtfertigen, weiß der Himmel. Was „Hirnduebel“ da gerade twittert, hieße zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Facebook ist angeblich 100 Milliarden wert. Man sollte es den Griechen schenken.“