Wohlfahrtsstaatliche Dialektik

Eine “Grabrede auf den Liberalismus“ hat FAZ-Redakteur Rainer Hank verfasst. Sie enthält Überlegungen, mit denen sich nicht nur Liberale auseinanderzusetzen haben. Manches ist für Linke besonders brisant, zum Beispiel dies:

 “.. längst haben die Bürger sich an vielfältig umverteilende Ausgleichsmechanismen gewöhnt. Wo viel eingezahlt wird, muss man die Kassen suchen, an denen ausgezahlt wird. Der Sozialstaat (…) setzt Anreize, ihn zum eigenen Vorteil auszubeuten und jenen Schadensfall mehr oder weniger absichtlich herzustellen, der eigentlich nur als Ausnahme gedacht war. Jeder will am liebsten das (oder mehr) ausbezahlt haben, als er einbezahlt hat. Ob Elterngeld, Studienstipendium, Hartz IV oder Bildungspaket: Was der Unterschicht recht ist, darf der Mittelschicht billig sein.“

 Die Zumwinkels der Oberschicht (die, wenn nicht mehr Staatsknete, so doch auf jeden Fall weniger negative Subventionen a.k.a. Steuern wollen), sind dem FAZ-Redakteur an dieser Stelle zufällig gerade nicht eingefallen. Das ist deshalb schade, weil ja eigentlich von solchen Leuten vorbildliches Verhalten erwartet werden dürfte und weil  Rainer Hank in der nächsten Passage auch Charakterfragen anspricht:

Weiterlesen „Wohlfahrtsstaatliche Dialektik“

Im Dschungel

In der Frankfurter Rundschau kritisieren Eva Roth und Markus Sievers unter der Überschrift „Freibier für Millionäre“  allerlei Ungerechtigkeit. Sie schreiben u. a.:

„Immer wieder prangert die OECD an, dass die stark gestiegenen Sozialabgaben die kleinen Einkommen benachteiligen. Bei der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung steigt die Belastung mit dem Einkommen nicht überproportional. Im Gegenteil verzichtet der Staat bei den Sozialabgaben jenseits der Beitragsbemessungsgrenze ganz auf den Zugriff.“

Über hundert Jahre nach Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck haben diese Kritiker bemerkt, dass die Beiträge zur Sozialversicherung keinen Progressionsverlauf aufweisen. Es sind bestimmt dieselben Kritiker, die die Gesundheitsprämie alias Kopfpauschale in der Krankenversicherung als neoliberales Teufelszeug verwerfen, obwohl genau damit eine Verlagerung  von den regressiven Sozialversicherungsbeiträgen zu den progressiven Einkommenssteuern erreicht werden würde.

In der Krankenversicherung liegt die Beitragsbemessungsgrenze bei 3.750 Euro Monatseinkommen. Schon wer 8.000  Euro verdient, kann sich also darüber freuen, dass der größte Teil seines Einkommens beitragsfrei gestellt ist. Von richtigen Großverdienern ganz zu schweigen.

Ungeachtet dessen barmt und wehklagt auch Wikipedia gegen das Kopfpauschalen-Konzept:  „Befürworter der Gesundheitsprämie sehen es als gerecht an, dass alle den gleichen Krankenkassenbeitrag zahlen, unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem Gesundheitszustand.“ Dass nach dem derzeitigen System  „Reiche“ prozentual weniger als „Arme“ zahlen, scheint den Wikipedia-Autoren nicht zu stören. Wahrscheinlich ist es ihm gar nicht bewusst.

Das Problem ist klar: Die Politik hat den Steuer-Transfer-Dschungel so dicht gemacht, dass keiner mehr durchblickt.