Wirtschaftstheorien gibt es die Menge. Es ist auch unglaublich viel Blödsinn darunter. Ich kenne allerdings keinen wirtschaftstheoretischen Ansatz, der besagt, dass die Zahl der produktiven Arbeitsplätze oder das Maß des Wohlstands in einer Gesellschaft vom Bildungs- und Ausbildungsstand der Bevölkerung unabhängig seien.
Solche Ansätze kennt anscheinend Christoph Butterwegge (wobei: er verrät sie leider nicht). Der Kölner Professor für Politikwissenschaft ist unermüdlich im Dienst der Linkspartei, … ähem, pardon: im Dienst der Wissenschaft unterwegs, um den Menschen klarzumachen, dass monetäre Umverteilung das einzige Rezept gegen Armut darstelle. Das Gerede über Bildung und Bildungsarmut sei hingegen bloß ein neoliberales Ablenkungsmanöver.
Am 18. Oktober 2006 gibt Christoph Butterwegge für den “Faktencheck” von “Hart aber fair” gegenüber wdr.de als wissenschaftliche Erkenntnis zu Protokoll, dass die Zahl der Arbeitsplätze fix und fleißiges Lernen der Vielen mitnichten ein probates Mittel der Armutsbekämpfung sei:
“Wenn alle Kinder mehr Bildung bekämen, würden sie um die wenigen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau, aber nicht mit besseren Chancen konkurrieren. Folglich gäbe es mehr Taxifahrer mit Abitur oder abgeschlossenem Hochschulstudium, aber kaum weniger Armut.”
Am 18. Dezember 2006 gibt Christoph Butterwegge auf den “Nachdenkseiten” unter der Überschrift “Neoliberaler Unsinn” folgendes zu bedenken:
“Wenn alle Kinder mehr Bildung bekämen, würden sie womöglich um die wenigen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau, aber nicht mit besseren Chancen konkurrieren. Folglich gäbe es am Ende mehr Taxifahrer mit Abitur und abgeschlossenem Hochschulstudium, aber kaum weniger Armut.”
Was für Kinder richtig ist, kann für Jugendliche nicht falsch sein. Am 12. Juni 2008 modifiziert Christoph Butterwegge in einem FR-Artikel unter der Überschrift “Bildung schützt vor Armut nicht” seine Aussage entsprechend:
“Denn wenn alle Jugendlichen – was durchaus wünschenswert wäre – mehr Bildungsmöglichkeiten bekämen, würden sie um die wenigen Ausbildung- und Arbeitsplätze womöglich nur auf einem höheren Niveau, aber nicht mit besseren Chancen konkurrieren. Dann gäbe es wieder mehr Taxifahrer mit Abitur oder Hochschulabschluss, aber nicht weniger Arme.”
Am 31. 10. 2008 erscheint unter der Überschrift “Nebelkerze Bildung” ein Artikel von Christoph Butterwegge in der taz, in dem es unter anderem heißt:
“Was unter günstigen Umständen zum individuellen Aufstieg taugt, versagt als gesellschaftliches Patentrezept. Denn wenn alle Jugendlichen – was natürlich wünschenswert wäre – mehr Bildungsmöglichkeiten bekämen, würden sie womöglich um die immer noch viel zu wenigen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau, aber nicht mit besseren Chancen konkurrieren.”
Am Forschungsstand ändert sich nichts. Christoph Butterwegge teilt am 22. Juni 2009 auf stern.de unter der Überschrift “Hilft mehr Bildung gegen Armut?” einmal mehr mit:
“Denn wenn alle Jugendlichen – was natürlich wünschenswert wäre – mehr Bildungsmöglichkeiten bekämen, würden sie womöglich um die immer noch viel zu wenigen Ausbildungs- und Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau konkurrieren, nicht aber mit besseren Chancen. Dann gäbe es wieder mehr Taxifahrer mit Abitur, aber noch genauso viele Arme.”
Was soll an Butterwegges Haltung links sein?
Ob jeder Zehnte die Schule ohne Abschluss verlässt oder nur jeder Zwanzigste. Ob 20 Prozent studieren oder 50 Prozent. Ob wir den Kindern der Zugewanderten durch frühkindliche Bildung Integrations- und Aufstiegschancen geben oder nicht. Ist eh alles ziemlich wurscht – sagt der Professor.
Vorrang für Gegenwartskonsum zu Lasten der Zukunftsinvestition, statisches Denken und strukturkonservativer Dogmatismus, Geringschätzung von Bildung als eines auch über das Materielle hinausreichenden Reichtums – das alles soll “links” sein? Ach was! Da rotiert der olle Marx in seinem Grab auf dem Highgate-Friedhof, dass es für die ganzjährige Stromversorgung des Großraums London reicht.
Nichts, aber auch gar nichts spricht dagegen, die starken Schultern mehr als die schwachen zu belasten, die Steuertarife progressiv zu gestalten, von oben nach unten umzuverteilen. Allerdings sind die Einkommen in Deutschland immer noch relativ gleichmäßig verteilt, während die Bildungschancen der Jüngeren – das zeigen drei große PISA-Studien – bei uns so weit auseinanderklaffen wie in keinem anderen OECD-Land. Wer angesichts dessen im Zweifel stets gegen Bildung argumentiert ist nicht zukunftsorientiert, sondern rückwärtsgewandt.
„Und täglich grüßt das Murmeltier“, die Filmkomödie aus den 90er Jahren, endet übrigens mit der Läuterung des in der Zeitschleife Gefangenen.