Realitätsverweigerer ohne strukturelle Mehrheit!

Die SPD hat noch schlechter abgeschnitten als ich befürchtet hatte. Wer die fröhlichen Gesichter von Böhning und Drohsel sah, die gleich nach 18 Uhr gestern vor den Kameras erschienen und „Konsequenzen“ forderten,  ahnt, wer auf den Pianisten geschossen hat. Will sagen: Natürlich hat die SPD auch deshalb so katastrophal abgeschnitten, weil die Franziska Drohsels in den letzten Monaten eher gegen als für Steinmeier und Steinbrück gekämpft haben.

Frank Lübberdings Rücktrittsforderung an Steinmeier und Müntefering ist interessant, ebenso wie die  anschließende erregte Diskussion im weissgarnix-Blog.  Lübberding und seine Mitstreiter haben überhaupt noch nicht begriffen, dass sie selbst mit ihrer 70er-Jahre-Weltsicht die Hauptverlierer dieser Wahl sind. Der Hauptgewinner ist nämlich Guido Westerwelles FDP – aus Sicht der Drohsels und Lübberdings der „neoliberale“ Gott-sei-bei-uns. Die Wählermehrheit teilt die 70er-Jahr-Sicht nicht.

Die Mehrheit derer, die diese Sicht nicht teilen, ist im übrigen viel größer als der gestrige Stimmenanteil von Schwarz-Gelb. Wenn die Drohsel-Lübberdings es nämlich schaffen sollten, kompetente Sozialdemokraten wie Steinbrück in einer Nacht der langen Messer zu schlachten, würde die SPD sofort die Stimmen der vielen Daniel Daffkes verlieren, die sie gestern noch bekommen hat. Das sind geschätzte fünf Millionen. Es gibt in Deutschland keine strukturelle Mehrheit der Realitätsverweigerer.

Steinmeier und die anderen Agenda-Politiker der SPD stehen – bei allen Fehlern, die sie gewiss gemacht haben – für eine nachhaltigere Politik. Aber nachhaltige Politik ist unbequemer als die Schuldenmacherei auf Kosten der Zukunft. Viele wollen lieber Freibier für alle. Oder Reichtum für alle.

Lübberdings Rücktrittsforderung zeugt noch aus einem anderen Grund von mangelnder politischer Urteilskraft. Wer mit Aussicht auf Erfolg eine rot-rot-grüne Mehrheit schmieden wollte, bräuchte selbstverständlich einen eher rechten Sozialdemokraten wie Steinmeier als Manager des Annäherungsprozesses zwischen rot und rot.

2 Kommentare zu „Realitätsverweigerer ohne strukturelle Mehrheit!

  1. Netter Kommentar. Aber das mit der 70er Jahre Weltsicht sollte man noch einmal diskutieren. Also Albrecht Müller wird das sichelrich anders sehen … . Es geht aber zuerst einmal darum, dass diese Partei reanimiert wird – und es wieder lernt zu streiten.

    Gruss Frank Lübberding

  2. Albrecht Müller hat manchmal Recht, und manchmal blendet er die seit den 1970ern fundamental veränderten Realitäten und Mentalitäten in einer Weise aus, die mich erschreckt.
    Hätte z. B. der Internationalist Willy Brandt sich bei allem Ärger über Nokia auch ein klein bisschen für die viel ärmeren rumänischen Arbeiter gefreut?
    Gruß, DD

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