„Postfaktischer“ Spiegel-Journalismus

Der Spiegel-Slogan „Keine Angst vor der Wahrheit“ klingt gut,  ähnlich wie Ingeborg Bachmanns berühmter Satz, die Wahrheit sei dem Menschen zumutbar. Der Spiegel, so die Eigenwerbung, „ist nur der Wahrheit verpflichtet, sonst niemandem. Er zeichnet sich durch gründliche Recherche und verlässliche Qualität aus und steht für investigativen Journalismus.“

Klaus Brinkbäumer aber, der Chefredakteur des Spiegel, behauptet im Leitartikel der aktuellen Ausgabe über den Wahlkämpfer Donald Trump: „Er hat sich der sexuellen Belästigung von Frauen gebrüstet…“. So? Hat er das?  Nein, das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Vielmehr hat Trump vor 13 Jahren – da war er kein Wahlkämpfer – in einem vertraulichen Gespräch gegenüber einem anderen Mann auf vulgäre, unangenehme Art damit geprahlt, jede Frau erobern zu können. Dass es seinerzeit Frauen gab, die Trumpsche Eroberungsbemühungen als sexuelle Belästigungen wahrnahmen, ist durchaus möglich (nach Veröffentlichung der Aufzeichnung meldeten sich einige mit entsprechenden Vorwürfen). Erwiesen ist es allerdings nicht.

Erwiesen ist hingegen, dass Trump-Gegner eine Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Donald Trump und Billy Bush aus dem Jahr 2003 im jetzigen Wahlkampf veröffentlichten – ein Vorgang übrigens, den der Spiegel in anderen Kontexten als grobe Verletzung der Privatsphäre gebrandmarkt hätte. Erwiesen ist auch, dass Trump sich daraufhin für seine privaten Äußerungen aus dem Jahr 2003 am 8. Oktober 2016 ausdrücklich öffentlich entschuldigt hat – hier ist das Video-Statement. „I said it, I was wrong and I apologize“, lautet ein Kernsatz seines Statements.

Fazit: Der Spiegel-Chefredakteur verdreht die Fakten. Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass sich der Wahlkämpfer Trump „mit der sexuellen Belästigung von Frauen gebrüstet“ habe. Eine Petitesse, ein Einzelfall? Nun, ein früherer Chefredakteur des Spiegel, der jetzt für die FAZ schreibt, betreibt den „postfaktischen“ Meinungsjournalismus in diesem Fall genauso. Mathias Müller von Blumencron behauptet: „Amerika hat einen Präsidenten, der sich damit rühmt, Frauen in den Schritt zu fassen.“ Hätte er geschrieben  „… der sich früher privat damit rühmte„, hätte man es durchgehen lassen können. So ist es Bullshit.

Donald Trump bietet inhaltlich genug Angriffsflächen, gerade aus liberaler Sicht. Doch das Liberale hat unter Journalisten wenig Freunde. Man erinnere sich, mit welch fragwürdigen Mitteln ein liberaler deutscher Spitzenpolitiker, Rainer Brüderle von der FDP, vor der Bundestagwahl 2013 aus der Stern-Redaktion heraus bekämpft wurde. So bleibt der Eindruck, dass führende Journalisten im Kampf für „das Gute“ und im Vollgefühl der moralischen Überlegenheit meinen, es mit den Fakten nicht so genau nehmen zu müssen. Ihre berechtigte Klage über die Flut der Desinformationen im Internet verliert dadurch an Glaubwürdigkeit.

 

Einwanderungsrecht vor Eigentumsrecht?

Thomas Schmid, von 2006 bis 2014 erst Chefredakteur und dann Herausgeber von Axel Springers „Die Welt“, einst auch als Grünen-Politiker aktiv, hat einen Essay über Europas Flüchtlingskrise verfasst. Ich habe ihn gern gelesen – ohne überall zuzustimmen -, weil er abwägt und differenziert, während viele Kommentare in der gegenwärtig eh aufgeheizten Stimmung nur holzschnittartig bekannte Standpunkte wiederholen und die Realität selektiv wahrnehmen. Schmid zieht allerdings eine Schlussfolgerung, die ich verstörend finde. Ich zitiere den ganzen letzten Absatz und hebe die entscheidenden Formulierungen durch Fettung hervor:

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Wie Linke und Grüne doch noch die Demografie lieben lernten

Viele Linke begründen heute ihr Plädoyer für Einwanderung damit, dass die stark alternden und zahlenmäßig schrumpfenden Deutschen Einwanderung brauchen, wenn sie den Lebensstandard und die Sozialsysteme erhalten wollen. Das ist grundsätzlich richtig. Es ist zwar schräge, in diesem Kontext für eine großzügige Praxis der Asylpolitik zu werben. Denn das Asylrecht ist für Einwanderung nach dem Nützlichkeitsprinzip bekanntlich nicht gemacht. Wer als politisch Verfolgter oder Kriegsflüchtling Schutz sucht, ist nach unserer Verfassung unabhängig davon aufzunehmen, ob er mutmaßlich die Sozialsysteme eines Tages mit tragen oder sie – im Gegenteil – dauerhaft belasten wird.

Unbenannt

Aber sei´s drum. Ich möchte auf etwas Anderes hinaus.

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Vermögen. Mal so, mal so.

Manchmal kennt der FR-Journalist Robert von Heusinger die Vermögensverteilung „im Westen“ ganz genau, sogar zu verschiedenen Zeitpunkten. Das klang vor zwei Jahren so:

„Den Reichen und den Firmen im Westen geht es so gut wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vermögensverteilung ist wieder da, wo sie zu Beginn der großen Krise in den 30er-Jahren war.“

Dann wieder ist Vermögen für Robert von Heusinger ein Mysterium. Genauer gesagt, ist dies dann der Fall, wenn Ergebnisse einer aktuellen Vermögensstudie der EZB sich partout nicht seinem Weltbild fügen mögen. Das klingt dann so:

 „Man muss diese Zahlen einordnen, weil Vermögen eine volkswirtschaftliche Kategorie ist, die unglaublich schwierig zu fassen ist. Um ehrlich zu sein: Es gibt keine gesamtvolkswirtschaftliche Bilanz aller finanziellen, materiellen und immateriellen Güter.“

Eine volkswirtschaftliche Gesamtbilanz liefert die amtliche Statistik sehr wohl, wie hier nachzulesen ist. Doch das nur nebenbei. Die Bewertung diverser Aktiva und Passiva, da hat der FR-Redakteur völlig Recht, ist in der Tat „unglaublich schwierig“. Erstaunlich nur, dass gleichwohl der Schwierigkeitsgrad für ihn volatil wie der Bitcoin-Kurs zu sein scheint.

Auch der grüne Europa-Abgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold hat mit der EZB-Studie ein Problem. Er findet den Vermögensbegriff der Studie zu eng und schreibt:

„Vermögensgleiche Rechte wie die Forderungen aus Renten- und Sozialversicherungen und andere staatliche Leistungen, wie beispielsweise der Zugang zu kostenloser Bildung, wurden nicht in das Vermögen eingerechnet. In Deutschland trägt das Sozialsystem aber maßgeblich zum hohen Lebensstandard der BürgerInnen bei. Darüber hinaus ist in Deutschland die Notwendigkeit, Vermögen zum Schutz vor Notlagen und zur Altersvorsorge aufzubauen, aufgrund des gut ausgebauten Sozial- und Rentensystems geringer als in anderen europäischen Ländern.“

Da sehe ich Sven Giegolds Parteichefin Claudia Roth schon vor meinem inneren Auge, wie sie in Berlin eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen mit dem neuen grünen Vermögensbegriff vertraut macht. Und anschließend der Presse erklärt, dass es mit der Ungleichverteilung des Vermögens in Deutschland nach der neuen Giegoldschen Rechnung  nicht annähernd so schlimm sei, wie sie früher geglaubt habe.

Was Oskar Lafontaine über Politikergehälter sagte

Debatten über Politiker- vs. Managergehälter? Alles schon mal dagewesen. Nicht nur, dass Sigmar Gabriel vor acht Wochen fast wortgleich dasselbe sagte wie jetzt Peer Steinbrück in dem von Medienleuten unnötig skandalisierten FAS-Interview. Schon im Juni 1992 veröffentlichte der Spiegel (Heft 24) ein Streitgespräch zwischen dem damaligen SPD-Politiker Oskar Lafontaine und dem Kölner Soziologen Erwin K. Scheuch. Weiterlesen „Was Oskar Lafontaine über Politikergehälter sagte“

Demokratie-Abgabe für den Rudeljournalismus?

Im aktuellen Stern 1/2013 beklagt Hans-Ulrich Jörges den um sich greifenden “Rudel- journalismus” und erinnert noch einmal daran, dass vor einem Jahr Christian Wulff “von einer Medien-Stampede niedergetrampelt wurde, wie sie mit dieser Wucht und Gleichförmigkeit noch nicht zu erleben war.” Jetzt läuft eine ähnlich massive Kampagne gegen Peer Steinbrück. Der Mann kann sagen, was er will, die Medienmeute findet immer einen Dreh, die Empörungs- maschinerie anzuwerfen und einzelne seiner Aussagen zu skandalisieren. Und wie im Fall Wulff sind auch bei der diesjährigen Winter-Stampede die GEZ-Medien vorn dabei. Weiterlesen „Demokratie-Abgabe für den Rudeljournalismus?“

Heißluftjournalismus. Ein Gedankenarmutsbericht

Es beginnt mit dem Artikel “Bundesregierung schönt Armutsbericht” von Thomas Öchsner bei süddeutsche.de. Öchsner, der einst Politologie in Marburg studiert hat, ist heute Berliner Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und laut Redaktion “vor allem für das Arbeits- und Wirtschaftsministerium zuständig”. Sein Artikel wird am Mittwoch, 28.11. in den frühen Morgenstunden bei süddeutsche.de freigeschaltet.

Öchsner vergleicht darin einen im Internet bereits veröffentlichten Armutsberichts-Entwurf aus dem Arbeits- und Sozialministerium vom September diesen Jahres mit einer aktuellen, nicht veröffentlichten Fassung vom 21. November, die, so Öchsner, der Süddeutschen Zeitung vorliege und den die Bundesregierung noch in diesem Jahr verabschieden wolle.

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„Bild“ schafft sich ab

Aus gegebenem Anlass habe ich mal in meiner Eigenschaft als Wutbürger eine kleine Prognose für die Bildzeitung erstellt. Und, was soll ich sagen: Spätestens 2032 ist endgültig Schluss. Nicht weil Bundesdiktator Wulff die Pressefreiheit abschafft, sondern weil kein Mensch das „Drecksblatt“ (Helmut Kohl) noch kaufen will.

Die verkaufte Auflage von Bild (rote Kurve) folgt einem linearen Abwärtstrend (schwarze Linie), der übrigens deutlich steiler verläuft als bei jenen seriöseren Printmedien, die sich in den letzten Tagen als Bild-Hiwis lächerlich machten. Gemäß Trendfunktion verliert Bild jedes Jahr knapp 130.000 Exemplare. Die Fortschreibung des Trends zeigt, dass 2032 nichts mehr übrig bleibt. Tatsächlich käme die Einstellung wohl früher – aufgrund von Skaleneffekten und beschleunigt wegbrechenden Werbeeinnahmen.

Ein paar Stimmen zum Spektakel der letzten zehn Tage:

Michael Spreng: „Das Medienkarussell dreht sich mit immer schnellerer Geschwindigkeit und gebiert Peinlichkeiten und Absurditäten ohne Ende.“

Stephan Weichert: „Was wir derzeit erleben, ist eine schlimme Ausgeburt des gehobenen Stimmungsjournalismus in Deutschland, der sich aus gefühlten Wahrheiten, Wichtigtuerei und Abfälligkeiten gegenüber Berufspolitikern speist.“

Wolfgang Storz/Hans-Jürgen Arlt: „Dass die Qualitätsmedien nicht kritisieren, sondern mitmachen, wenn ´Bild´ sich Personen und Ereignisse für seine Selbstvermarktung zurecht legt, schadet der Demokratie mehr als das Geschnorre des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten.“

Stefan Niggemeier: „Was für eine bizarre Situation: In der ARD-Talkshow zitiert Jauch, was der ´Spiegel´ unter Berufung auf Springer über Wulffs Anrufe bei Diekmann und Vorstandschef Mathias Döpfner schreibt, und fragt Blome, ob das richtig sei. Was der ´Spiegel´ schreibt. Was er von Springer weiß. Und Blome bestätigt es.“

Heribert Prantl: „So gnädig Christian Wulff in der Kreditaffäre zu sich selbst ist, so gnadenlos sind die Medien im Umgang mit dem Bundespräsidenten. Dabei wiederholen sich die Kritiker und verbreiten teils blühenden Unsinn. Gefährlich wird es, wenn aus dem Streit eine Machtprobe zwischen Presse und Bundespräsident wird.“

Ulrich Schmid: „Die deutschen Medien haben in der Affäre Wulff lange Zeit eine konstruktive Rolle gespielt. Ihre Pflicht ist die Aufklärung, nicht der Schutz des Staatsoberhaupts vor ´ungehörigen´ Attacken. In den letzten Tagen allerdings scheint die Gier danach, Wulff zur Strecke zu bringen, die klare Sicht zu trüben. Man wiederholt sich. Winzigkeiten aus dem Privatleben der Wulffs werden zu Skandalen aufgebauscht. Es hat etwas Zwanghaftes, Kleinliches. Die permanente Entrüstung klingt unecht, denn Wulff hat nicht immer und überall niederträchtig gehandelt. Die Art, in der triviale Medien eine winzige Demo selbstgerechter Schuhwerfer zum Volkstribunal stilisierten, war beschämend.“

Dirk Elsner: Man kann nach beliebigen Antworten dem Diskursgegner (hier also Wulff) stets weiter Intransparenz und die Zurückhaltung von Antworten vorwerfen, weil jede Antwort Ansatzpunkte für neue Fragen ermöglicht. Vielleicht geht es sogar so weit, Wulff vorzuhalten, es sei nicht offen, weil er nicht offengelegt habe, ob er bei seinen freundschaftlich verbundenen Gastgebern die Eier hart oder weich serviert bekommen hat.

Euromantische Nebelwerfer

„Die Wall Street greift an“ verkündet die  „Zeit“ heute reißerisch im Boulevardstil auf ihrer Titelseite. Wer dann in den entsprechenden Beitrag des Wirtschaftsteils schaut, findet zum angeblichen Angriff der „bösen“ Wall Street auf den „guten“ Euro – nichts.

Außer diesem wirklich lustigen Hinweis (Hervorhebung von mir):

 „Die Geldgeber haben ihr Urteil bereits gefällt. Sie ziehen aus vielen Ländern ihr Kapital ab. Vom `Angriff der Wall Street´auf den Euro ist die Rede, von den unerbittlichen Finanzmärkten, die nach Griechenland, Irland, Portugal und Spanien nun auch Italien ´auf Korn´nähmen. Von den amerikanischen Großbanken, die den Euro schwächen wollten, damit der Dollar weiter die Devisenmärkte dominieren könne. Es sind auch Europas Politiker, die die Botschaft unters Volk streuen. Seht her, wir unternehmen doch alles, um unsere Währung zu retten, soll das heißen – und es sind die Spekulanten, die alles zerstören.“

Und die sich seriös gebende „Zeit“  salviert auf ihrer Titelseite das  Haltet-den-Dieb-Geschimpfe der Politiker gegen die „Spekulanten“,  das vom Versagen der Politik ablenken und die Bevölkerung auf weitere Notopfer zur „Eurorettung“ einschwören soll.

Wer die „Spekulanten“ in Wirklichkeit – auch – sind, offenbarte am letzten Montag Peter Schneider, Aufsichtsrat der von Politikern kontrollierten Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), im Interview mit dem Handelsblatt. Auf die Frage, ob die LBBW Griechenland-Anleihen abstoße, erläuterte Schneider: „Das erfolgt im Moment in jedem Haus. In jedem Aufsichtsrat wird gefragt: Habt ihr Griechenland-Anleihen? Warum verkauft ihr nicht.“