Schuldenabbau hat noch gar nicht begonnen

Im Januar 2010 hatte McKinsey Global Institute  „Debt and Deleveraging“ veröffentlicht, eine bemerkenswert klare, 94-seitige Studie über „die globale Kreditblase und ihre ökonomischen Folgen“. Ein komplettes Update ist für den Herbst angekündigt, ein paar wichtige Daten wurden schon jetzt fortgeschrieben – siehe die Grafik unten.

Die Grafik zeigt, wie sich die Gesamtverschuldung der inländischen Sektoren (Privathaushalte, Unternehmen, Finanzsektor und Staat) in Relation zum BIP während der letzten beiden Jahrzehnte entwickelt hat. Unschwer ist zu erkennen, dass die großen früh industrialisierten Länder bis 2008 den „Pumpkapitalismus“ (Ralf Dahrendorf) in einem für Friedenszeiten bis dato nicht bekanntem Maße vorantrieben. Seit 2008 ist  die Schuldenquote in den meisten Ländern nicht im bisherigen Tempo weiter gestiegen. Ein nennenswerter Schuldenabbau wurde aber auch nicht erreicht. Vielfach wurde bloß umgeschichtet – der Staat sprang für die Privaten in die Bresche. Einen Sonderfall bilden offenbar die Franzosen, die nach Lehmann noch geraume Zeit weiter in die Schuldenfalle gerannt sind. Wer weiß, ob nicht  Jean-Claude Juncker und die anderen Euroretter demnächst mit der Feuerpatsche Großbrände auf der anderen Rheinseite zu löschen versuchen.  Entschuldungsprozesse, sagen die McKinsey-Leute, seien stets sehr schmerzhaft und historische Erfahrung lehre, dass es sechs bis sieben Jahre dauere, die Gesamtschuldenquote um ein Viertel abzusenken.

Aber bei uns soll ja nun – Spaß muss sein –  in Erwartung der nächsten Bundestagswahl erst mal ein  Rettungsschirm für die FDP gespannt werden, auch wenn 70 Prozent der Bevölkerung das ziemlich bescheuert finden.

Mitten im Aufschwung finden unsere famosen Patentliberalen es völlig ausreichend, wenn die Neuverschuldung – ja wir machen noch immer viele Milliarden Neuschulden! – ein bisschen niedriger ausfällt als vor einiger Zeit erwartet.  Sie wollen Steuern senken, ohne Ausgaben zu kürzen, also ein Wahlgeschenk auf Pump machen, obwohl die deutsche Staatsschuldenquote schon gut 20 Prozentpunkte über der Maastricht-Grenze liegt.

So müssen Haushaltskonsolidierung und staatlicher Schuldenabbau halt noch ein bisschen warten. Wer den FDP-Generalsekretär gestern im Stile eines leicht übermotivierten Fähnleinführers im Fernsehen zum Steuerthema argumentieren hörte, konnte sich fast schon seinen Ex-Chef Westerwelle zurückwünschen.

Horst Köhler nervte mit unbequemen Wahrheiten

Die dauergrinsende taz-Chefredakteurin Ines Pohl bei Beckmann gestern abend ist offensichtlich froh, einen kompetenten Mann los zu sein, der so unbequeme Wahrheiten wie in seiner Berliner Rede vom April 2009 aussprach:

  „Obwohl der Wohlstand in der westlichen Welt, in Europa und auch in Deutschland seit den 70er Jahren beständig zunahm, ist auch die Staatsverschuldung kontinuierlich angestiegen. Man stellte Wechsel auf die Zukunft aus und versprach, sie einzulösen. Das ist bis heute nicht geschehen. Denn wir scheuten uns vor den Anstrengungen, die mit jedem Schuldenabbau verbunden sind. Wir haben die Wechsel an unsere Kinder und Enkel weitergereicht und uns damit beruhigt, das Wirtschaftswachstum werde ihnen die Einlösung dieser Wechsel erleichtern.

Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt. Die Krise ging von den Industriestaaten aus – von denen, die sich bislang am stärksten fühlten. Und sie wirft ein Schlaglicht auf die Widersprüche, in die sich die industrialisierte Welt in den vergangenen Jahrzehnten verstrickt hat. Wir haben diese Welt selbst mitgestaltet. Aber wir finden uns immer weniger darin zurecht. So wuchs die Kluft zwischen den neuen Anforderungen der Wirklichkeit und unserem Anspruch, alles möge beim Alten bleiben. Und wir haben uns eingeredet, es gebe einen Königsweg, diese Widersprüche aufzulösen: Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen. Solange das Bruttoinlandsprodukt wächst, so die Logik, können wir alle Ansprüche finanzieren, die uns so sehr ans Herz gewachsen sind – und zugleich die Kosten dafür aufbringen, dass wir uns auf eine neue Welt einstellen müssen. Die Finanzmärkte waren Wachstumsmaschinen. Sie liefen lange gut. Deshalb haben wir sie in Ruhe gelassen. Das Ergebnis waren Entgrenzung und Bindungslosigkeit. Jetzt erleben wir, dass es der Markt allein nicht richtet. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt. „

Einzig Giovanni di Lorenzo und sein Redakteurskollege von der „Zeit“ ließen in der gestrigen Beckmann-Sendung ein Gespür für die politische Situation und Empathie für den Menschen Horst Köhler erkennen. Und die meisten Kommentatoren der heutigen Zeitungen haben im Unterschied zu großen Teilen der Bevölkerung (die Horst Köhler bekanntlich mag) überhaupt noch nicht begriffen, dass eine nicht ungefährliche systemische Krise nahe gerückt ist.

 

Schwarz-gelb oder schwarz-rot

 In diesem Blog schrieb ich vor rund drei Wochen nach den Landtagswahlen in Thüringen, im Saarland und in Sachsen:

„Die Chance, eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bund zu verhindern, ist deutlich gewachsen, und es ist nicht auszuschließen, dass Frank-Walter Steinmeier doch noch Kanzler einer Ampel-Koalition wird.“

Das wurde damals von vielen politischen Kommentatoren als absurd bezeichnet. Heute wissen wir, dass der erste Teil des Satzes richtig war (siehe den Aufmacher des heutigen Abendblattes), der zweite Teil jedoch nicht. Westerwelle schließt heute eine Ampel kategorisch aus und würde wie Ypsilanti enden, wenn er nach der Wahl umfiele.

abendblatt
Hamburger Abendblatt von heute

Das grüne Urgestein Ralf Fücks hat einen treffenden Kommentar über das „Ampel-Gehampel“ geschrieben. 

„Hätte eine interessante Kombination sein können – sozial, liberal, ökologisch. Klingt fast wie das grüne Grundsatzprogramm.“ Leider, sagt Fücks, hätten aber alle Beteiligten alles getan, diese Option zu verhindern. Westerwelle schwöre heilige Eide gegen die Ampel, SPD und Grüne seien Schizos, wenn sie einerseits die FDP als neoliberalen Gott-sei-bei-uns darstellten und andererseits mit ihr eine Regierung bilden wollten.