„Es geht um Meinungsfreiheit“

Weissgarnix alias Thomas Strobl zitiert unter der Überschrift „Schirrmacher ist baff“ aus der heutigen FAS einen Beitrag Frank Schirrmachers . Schirrmacher wundert sich darin über die Bundeskanzlerin:

“Seit drei Wochen gibt es Sarrazins Buch. Es ist sechshundertfünfzigtausend Mal verkauft worden, und es wird wahrscheinlich vor Weihnachten die Eineinhalbmillionenmarke erreichen. Bei einem Buch, das verliehen und weitergegeben wird, heißt diese Zahl, dass es dann von an die zwölf Millionen Menschen gelesen worden sein kann. Es hat Vergleichbares noch niemals gegeben. Der Autor ist wegen der Buchkritik der Kanzlerin und des Bundesbankchefs und der Winke des Bundespräsidenten mittlerweile arbeitslos, gewiss das Maximum an Bestrafung in einer bürgerlichen Welt. Und jetzt, drei Wochen danach, erklärt die Bundeskanzlerin fast stolz, dass sie das Buch, um dessentwillen sie die Absetzung des Bankers betrieb und das ihr Staatsvolk zutiefst spaltet, immer noch nicht gelesen hat, sondern nur aus Vorabdrucken kennt. Es handelt sich dabei, wohlgemerkt, um Vorabdrucke, die von Gegnern des Buches gerade deshalb kritisiert werden, weil sie so harmlos waren (…)”

Die Meinung von Strobl und Schirrmacher teile ich oft nicht, auch die frühere Schirrmacher-Exegese des Sarrazin-Textes fand ich recht seltsam. Denn Schirrmacher spekulierte darüber, was Sarrazin zwar nicht geschrieben hat, aber eigentlich hätte schreiben wollen. Aber wenn Strobl heute Schirrmacher zustimmend mit der Aussage zitiert

“Und deshalb geht es bei der Sarrazin-Debatte im Kern mittlerweile um nichts anderes als die Meinungsfreiheit”

dann gehe ich damit d´accord. Die teilweise so wüsten wie unqualifizierten Kommentare in seinem eigenem Blog – vielfach von Leuten, die das Buch offensichtlich auch nicht gelesen haben – kann Weissgarnix dabei durchaus als weitere Bestätigung seiner These nehmen.

Merkel, Gabriel, Wulff sowie die selbstgefälligen Blockwarte der political correctness in den Medien werden an ihrem Versagen in dieser Sache noch in Jahren und Jahrzehnten gemessen werden. Die Vernünftigen in diesem Land werden – hoffentlich – verhindern können, dass wirkliche Rassisten am Ende aus dem Buch des angeblichen Rassisten Kapital schlagen können.

Generell verlaufen die politischen Trennlinien, wie Sarrazin zu Recht feststellt (S. 101 f),

„nicht längs der Parteigrenzen oder nach dem klassischen Links-Rechts-Schema. Sie verlaufen vielmehr zum einen zwischen denen, die kurzfristig und jenen, die langfristig denken, und zum anderen zwischen jenen, die Veränderung eher als externes Ereignis und jenen, die Veränderung als Gestaltungsaufgabe auffassen.“

 Machen wir uns nichts vor: Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden schwieriger werden, und wirtschaftliche Bedrückung bildet meistens den Humus für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Beides bekämpft man am besten, wenn man Sarrazins Vorschlag (S. 326) folgt und an Einwanderer eine klare Erwartungshaltung formuliert: Ihr seid willkommen. Wenn ihr unsere Sprache lernt,  euren Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, Bildungsehrgeiz für eure Kinder habt!

Krähwinkel

„Mutti bekommt Schwiegersohn“,  titelten manche als der neue Bundespräsident gewählt war. Jetzt können wir mal sehen, ob Mutti und ihr Schwiegersohn  einen Unbotmäßigen zur Schnecke machen, ganz demokratisch, versteht sich.

 
Wer auf der Straße räsonniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonnieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
 
Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.
 
aus: Heinrich Heine, Erinnerung an Krähwinkels Schreckenstage

Horst Köhler nervte mit unbequemen Wahrheiten

Die dauergrinsende taz-Chefredakteurin Ines Pohl bei Beckmann gestern abend ist offensichtlich froh, einen kompetenten Mann los zu sein, der so unbequeme Wahrheiten wie in seiner Berliner Rede vom April 2009 aussprach:

  „Obwohl der Wohlstand in der westlichen Welt, in Europa und auch in Deutschland seit den 70er Jahren beständig zunahm, ist auch die Staatsverschuldung kontinuierlich angestiegen. Man stellte Wechsel auf die Zukunft aus und versprach, sie einzulösen. Das ist bis heute nicht geschehen. Denn wir scheuten uns vor den Anstrengungen, die mit jedem Schuldenabbau verbunden sind. Wir haben die Wechsel an unsere Kinder und Enkel weitergereicht und uns damit beruhigt, das Wirtschaftswachstum werde ihnen die Einlösung dieser Wechsel erleichtern.

Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt. Die Krise ging von den Industriestaaten aus – von denen, die sich bislang am stärksten fühlten. Und sie wirft ein Schlaglicht auf die Widersprüche, in die sich die industrialisierte Welt in den vergangenen Jahrzehnten verstrickt hat. Wir haben diese Welt selbst mitgestaltet. Aber wir finden uns immer weniger darin zurecht. So wuchs die Kluft zwischen den neuen Anforderungen der Wirklichkeit und unserem Anspruch, alles möge beim Alten bleiben. Und wir haben uns eingeredet, es gebe einen Königsweg, diese Widersprüche aufzulösen: Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen. Solange das Bruttoinlandsprodukt wächst, so die Logik, können wir alle Ansprüche finanzieren, die uns so sehr ans Herz gewachsen sind – und zugleich die Kosten dafür aufbringen, dass wir uns auf eine neue Welt einstellen müssen. Die Finanzmärkte waren Wachstumsmaschinen. Sie liefen lange gut. Deshalb haben wir sie in Ruhe gelassen. Das Ergebnis waren Entgrenzung und Bindungslosigkeit. Jetzt erleben wir, dass es der Markt allein nicht richtet. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt. „

Einzig Giovanni di Lorenzo und sein Redakteurskollege von der „Zeit“ ließen in der gestrigen Beckmann-Sendung ein Gespür für die politische Situation und Empathie für den Menschen Horst Köhler erkennen. Und die meisten Kommentatoren der heutigen Zeitungen haben im Unterschied zu großen Teilen der Bevölkerung (die Horst Köhler bekanntlich mag) überhaupt noch nicht begriffen, dass eine nicht ungefährliche systemische Krise nahe gerückt ist.

 

Herrlich, wenn Andersdenkende niedergebrüllt werden…

Nein, die CDU ist definitiv nicht meine Partei, ich habe sie noch nie gewählt. Außerdem: In meiner Sturm- und Drangzeit habe ich, wie ich mich dunkel zu erinnern glaube, auch mal unliebsame Politiker ausgebuht und -gepfiffen.

Nico Lumma, Director Social Media bei der Werbeagentur Scholz & Friends, müsste seinen Sturm und Drang auch schon hinter sich haben. Aber in seinem Blog findet er es  „herrlich“, wenn Andersdenkende von einem Flashmob niedergebrüllt werden.

lumma
Nico Lumma findet´s „herrlich“

Getroffen hat es Angela Merkel gestern in Hamburg, und in diesem über 14-minütigen Video ist zu bestaunen , welche Heldentaten die über „Social Media“ Zusammengerufenen vollbracht haben. Ein paar Freiheitskämpfer von der Piratenpartei sollen auch dabei gewesen sein. Freiheit? Das ist, wie wir von Rosa Luxemburg wissen, immer die Freiheit des Andersdenkenden.