„Bild“ schafft sich ab

Aus gegebenem Anlass habe ich mal in meiner Eigenschaft als Wutbürger eine kleine Prognose für die Bildzeitung erstellt. Und, was soll ich sagen: Spätestens 2032 ist endgültig Schluss. Nicht weil Bundesdiktator Wulff die Pressefreiheit abschafft, sondern weil kein Mensch das „Drecksblatt“ (Helmut Kohl) noch kaufen will.

Die verkaufte Auflage von Bild (rote Kurve) folgt einem linearen Abwärtstrend (schwarze Linie), der übrigens deutlich steiler verläuft als bei jenen seriöseren Printmedien, die sich in den letzten Tagen als Bild-Hiwis lächerlich machten. Gemäß Trendfunktion verliert Bild jedes Jahr knapp 130.000 Exemplare. Die Fortschreibung des Trends zeigt, dass 2032 nichts mehr übrig bleibt. Tatsächlich käme die Einstellung wohl früher – aufgrund von Skaleneffekten und beschleunigt wegbrechenden Werbeeinnahmen.

Ein paar Stimmen zum Spektakel der letzten zehn Tage:

Michael Spreng: „Das Medienkarussell dreht sich mit immer schnellerer Geschwindigkeit und gebiert Peinlichkeiten und Absurditäten ohne Ende.“

Stephan Weichert: „Was wir derzeit erleben, ist eine schlimme Ausgeburt des gehobenen Stimmungsjournalismus in Deutschland, der sich aus gefühlten Wahrheiten, Wichtigtuerei und Abfälligkeiten gegenüber Berufspolitikern speist.“

Wolfgang Storz/Hans-Jürgen Arlt: „Dass die Qualitätsmedien nicht kritisieren, sondern mitmachen, wenn ´Bild´ sich Personen und Ereignisse für seine Selbstvermarktung zurecht legt, schadet der Demokratie mehr als das Geschnorre des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten.“

Stefan Niggemeier: „Was für eine bizarre Situation: In der ARD-Talkshow zitiert Jauch, was der ´Spiegel´ unter Berufung auf Springer über Wulffs Anrufe bei Diekmann und Vorstandschef Mathias Döpfner schreibt, und fragt Blome, ob das richtig sei. Was der ´Spiegel´ schreibt. Was er von Springer weiß. Und Blome bestätigt es.“

Heribert Prantl: „So gnädig Christian Wulff in der Kreditaffäre zu sich selbst ist, so gnadenlos sind die Medien im Umgang mit dem Bundespräsidenten. Dabei wiederholen sich die Kritiker und verbreiten teils blühenden Unsinn. Gefährlich wird es, wenn aus dem Streit eine Machtprobe zwischen Presse und Bundespräsident wird.“

Ulrich Schmid: „Die deutschen Medien haben in der Affäre Wulff lange Zeit eine konstruktive Rolle gespielt. Ihre Pflicht ist die Aufklärung, nicht der Schutz des Staatsoberhaupts vor ´ungehörigen´ Attacken. In den letzten Tagen allerdings scheint die Gier danach, Wulff zur Strecke zu bringen, die klare Sicht zu trüben. Man wiederholt sich. Winzigkeiten aus dem Privatleben der Wulffs werden zu Skandalen aufgebauscht. Es hat etwas Zwanghaftes, Kleinliches. Die permanente Entrüstung klingt unecht, denn Wulff hat nicht immer und überall niederträchtig gehandelt. Die Art, in der triviale Medien eine winzige Demo selbstgerechter Schuhwerfer zum Volkstribunal stilisierten, war beschämend.“

Dirk Elsner: Man kann nach beliebigen Antworten dem Diskursgegner (hier also Wulff) stets weiter Intransparenz und die Zurückhaltung von Antworten vorwerfen, weil jede Antwort Ansatzpunkte für neue Fragen ermöglicht. Vielleicht geht es sogar so weit, Wulff vorzuhalten, es sei nicht offen, weil er nicht offengelegt habe, ob er bei seinen freundschaftlich verbundenen Gastgebern die Eier hart oder weich serviert bekommen hat.

29 Kommentare zu „„Bild“ schafft sich ab

  1. ich kann es nicht glauben. für mich hat die bild nur das mit kissen gepolsterte fensterbrett einer städtischen nebenstraße oder die bank am gartenzaun vor dem haus ersetzt. es ist die moderne art zu tratschen, zu hetzen und andere menschen auszugrenzen. neu und gefährlich ist nur, wenn diese gattung politik macht und die macht hat, meinungen zu formen. jetzt fehlt nur noch, dass die menschen personen wählen und nicht programme.

  2. Ich bin kein Freund der Bild und freue mich über jedes verkaufte Exemplar weniger. Trotzdem ist dieses Beispiel ein perfekter Beweis für das 11. Gebot: „Du sollst nicht interpolieren“.

  3. Wenn schon, dann müßte es heißen, du sollst nicht _extrapolieren_. Für die Extrapolation das Doppelte des bekannten Zeitraums zu nehmen, ist besonders mutig.

    Und da die IVW die Daten quartalsweise seit 98 bereitstellt: „Du sollst deine Datenbasis nicht mutwillig verkleinern“. Zugegebenerweise ist das 4. Quartal bei der BILD immer das schwächste.

    1. @ brandbarth

      Okay, dann eben nicht 2032, sondern erst 2033!

      Im Ernst: Die Einwände wären berechtigt, wenn es sich nicht um eine bedingt ernst gemeinte Knochenbrecher-„Prognose“ handeln würde. Also sozusagen Bild-Style.

      1. Dafür geht bild. de steilstens nach oben. Übrigns noch vor spiegel.de. Über 6 Mio Unique User!!. Im Jahr 2032 gibt es whrscheinlich eh keine Papierzeitungen mehr…

  4. Solange es Leser gibt, die nicht begreifen, dass man sie verBLÖDet, wird es auch Käufer geben. Es sind die Leute, die glauben, dass das halbnackte Mädchen auf der täglichen Seite 1 tatsächlich Isabel F. aus K. ist, die besonders Männer mag die die BILD lesen!!!!

    Bei einem spannenden Roman weiß man: Das ist erfunden!
    Die täglichen Skandalnachrichten sind jedoch wahr.

    Um das alles wieder gut zu machen, gibt es ein Herz für Kinder. Wenn da auch Kinder dabei sind, deren Eltern durch dieses Blatt schuldlos in den Ruin getrieben worden sind, dann hebt es sich ja wieder auf!

    Bild dir deine Meinung?
    Von wegen:
    Bild dir unsere Meinung!

  5. Ich denke es hat auch was mit dem Onlineangebot zu tun.
    Leute die früher die BILD in 5 Min. auf dem Klo gelesen haben,
    lesen die 5 Min. am PC und kostenlos.

  6. Ich denke, dass Bild sich noch lange nicht abschafft. Die Causa Wulff zeigt doch gerade, wie sehr „wir“ alle noch am „Tropf von Bild“, wie es kürzlich in einem anderen Blog treffend hieß, hängen. Die Auflage der gedruckten Bild wird sich bestimmt auf einem sehr niedrigen Niveau einpendeln, aber dafür werden doch die Online-Angebote immer mehr wahrgenommen, die nun auch immer mehr auf Smartphones und Tabs zugeschnitten werden.

  7. Habe heute im Radio gehört, dass BILD die meißtgelesene Zeitung in Deutschland ist. Ich trage dazu natürlich nicht bei. Wie paßt das den nun zusammen?
    Ich denke: da haben wir immer mehr und verschiedene Informationsquellen. Der große Kuchen wird in immer mehr Stücke geschnitten, ähnlich sieht es doch auch im Handel aus, Ausbeutung und Selbsausbeutung im realen und im Internetversandhandel.
    Geiz ist leider oft geiler als Nachhaltigkeit und Menschlichkeit. Wenn in Zukunft auf der Lidl Textilienverpackung, natürlich auch bei ALDI, oder auch Spielwaren, Wurstverpackung (wird die nächste Generation Vegetarier?) die Herstellungsbedingungen mit aufgedruckt werden müßten, dann würde sicher der eine oder der andere den Korb nicht ganz so voll machen und die „Guten“ Hersteller würden mehr zu Zuge kommen.
    Verbraucherschutzminister kommt dann vieleicht von der Piratenpartei.
    Ich werde das natürlich beobachten.

  8. Es stimmt, bild.de tritt zum Teil an die Stelle der Bildzeitung. Allerdings wird bild.de kaum jemals so viel Gewinn pro User bringen wie die Bildzeitung pro Leser. Die finanzielle Basis für Boulevardjournalismus à la Bild dürfte daher im Zeitverlauf mit zunehmender Digitalisierung schrumpfen. Eventuell könnte sich deshalb der Niedergang der Bildzeitung in der Realität durchaus schneller vollziehen als es nach der rein mechanischen Trendverlängerung in der obigen Grafik der Fall ist (irgendwelche bremsenden Faktoren sind selbstverständlich theoretisch genauso denkbar).

    Nun ist die Bildzeitung ja nicht für alles Übel dieser Welt verantwortlich. Gegen dumme und menschenverachtende Verhaltensweisen hilft langfristig am ehesten mehr und bessere Bildung. Helfen würden mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr Teilhabe- und Einkommenschancen für das Publikum von Bild, RTL2 & Co – und vor allem für dessen Kinder. Anstelle des regierungsamtlichen Wirtschaftswachstumsfetischismus, der nur ständig neue Blasen hervorruft und den Finanzsektor künstlich aufbläht, täte eine Art kulturelle Erneuerung gut.

  9. Ich bin gespannt, ob die Menschen in Zukunft bereit sind, auch für Online-Inhalte zu bezahlen. Bisher erscheint es selbstverständlich, dass man für die Homepages der Tageszeitungen keinen Cent bezahlt, obwohl man da meist alles Wichtige findet, was auch in der Druckausgabe steht. Das müssen die Verlage irgendwie hinbekommen. Falls Ihnen das gelingt, können sie vielleicht sogar den gleichen Gewinn machen wie bisher, obwohl ich da ehrlich gesagt auch nicht dran glaube.

    1. @Kevin

      Die Papierausgaben der überregionalen Qualitätstitel enthalten immer noch wesentlich mehr und z.T. andere Beiträge als die zugehörigen Websites. Und diese Titel verlieren auch längst nicht so stark Auflage wie die Bildzeitung, manche sind in letzter Zeit sogar gewachsen (z.B. Die Zeit, FAS).

      Digitale Bezahlinhalte gibt es in Ansätzen ja schon, nicht nur bei Wirtschaftsblättern, auch z.B. bei der New York Times. Solche Ansätze werden sicher zukünftig ausgebaut werden – aber nur für qualitativ hochwertigen Journalismus. Für Sex & Crime von Bild & BamS wird niemand im Internet bezahlen.

      1. Falsch. BILD kann man als app kaufen und wie ich höre, sind die Zahlen gut. Boulevard wird sich immer verkaufen. BILD sind keine Papierhändler! Sonder bieten auf verschiedenen Kanälen Inhalte an.
        Das ist übrigens eine gewagte These: Für Sex & Crime von Bild & BamS wird niemand im Internet bezahlen.

        Gerade für Sex wird bezahlt. Und auch immer mehr für Sport!!

    1. Muss einen Kommentar von mir übrigens korrigieren: es sind sogar 11,2 Mio Unique User, die BILD.de nutzen… Von wegen, Bild schafft sich ab…;o)) Bild wechselt nur das Medium, auf dem es transportiert wird.

      1. Stimmt, bild.de hat 11,2 Millionen Unique User. PRO MONAT. Aber die Bildzeitung hat 12,1 Millionen Leser. PRO TAG. Von der jeweiligen Verweildauer wollen wir lieber gar nicht erst reden, oder? Deshalb bleibe ich bei der These, dass der Bild-Journalismus im Zuge der weiteren Digitalisierung schrumpfen wird. Es ist nicht schade um ihn.

      2. Die Verweildauer im Internet ist bei allen Medien kurz – schnell muss es gehen und Anreize zum Klicken müssen da sein. Das hat nix mit BILD zu tun, dass hat mit der neuen Lese-Generation zu tun!! Eine meterlanger Text im Internet hat dort nix zu suchen… BILD wird es immer geben (zum Glück, ich würde sie vermissen), halt nur nicht mehr auf dem Papier. Und immerhin haben die Verlage es endlich kapiert, von dem Gratisdenken im Internet weg zu kommen. Wer das nicht packt, DEN wird es nicht mehr geben…

  10. Vielen Dank für den Link, Oli.

    Wir sind uns ja offenbar darin einig, dass Verlage digitale Bezahlinhalte generieren müssten, weil es schwer ist, im Netz auf Dauer allein von Werbung zu leben.
    So weit ich weiß, hat bild.de aber keinen Paid Content (im Unterschied etwa zu den Web-Ablegern der regionalen Abo-Zeitungen aus dem Hause Springer). Insofern sind die Leute von Medienrauschen auf dem Holzweg, wenn sie schreiben:

    „Um zu sehen, ob die Verkaufsmacht der BILD tatsächlich schwindet, haben wir einmal die Print-Auflagenzahl und die Online-Zahlen von BILD.de vereint.“

    Da bild.de keinen einzigen seiner vielen Visits an die Nutzer verkauft, können Visits logischerweise auch keine Verkaufsmacht repräsentieren. Eben dies unterscheidet sie von der verkauften Auflage.

    1. Na ja, mit dem Paid Content wird schwer. Aber die Idee von BILD, auf der online-Seite z.B. Tickets, Bücher, Trikots usw zu verkaufen, läuft meines Wissens gut bis sehr gut. Klar, kann man kritisieren, aber das ist halt ein Weg, um online Geld zu verdienen und mit großen Kunden Kooperationen einzugehen, die gerne kommen, weil BILD.de eine riesige Anzahl von Usern hat. Alleine deswegen wird es BILD immer nocn sehr lange geben, auch wenn sicher anders als heute. Wie hat Diekmann so so treffend formuliert: „Wir sind kene Papierhändler!“
      Die SZ hat mal auf ihrer Wirtschaftsseite einen großen Artikel über diesen BILD-Shop gebracht. Da war auch ich überrascht, wie erfolgreich dieses Modell funktioniert.

  11. Okay, Du schiebst neue Argumente nach. Nach Paid Content soll´s jetzt E-Commerce richten. Das Problem dabei: Wenn eine Zeitung (oder eine publizistische Website) „mit großen Kunden Kooperationen“ eingeht, wie Du schreibst, risikiert sie ihre Unabhängigkeit. Wer z.B. mit Aldi, Lidl oder H&M geschäftlich kooperiert, wird womöglich nicht mehr völlig unbefangen deren Geschäfte kritisieren können.

    Der Vergleich mit regionalen Abo-Zeitungen macht keinen Sinn. Vergleiche die führende nationale Boulevard-Tageszeitung (also Bild) mit den führenden nationalen Quality Dailies (FAZ, Süddeutsche). Dann siehst Du den Unterschied der langfristigen Auflagentrends.

    Dieser Unterschied lässt sich auch erklären: Das Bild-Publikum wendet sich vergleichsweise stärker den elektronischen Reizen (TV, Internet) zu, weil diese erstens kräftiger und zweitens auch noch billiger sind.

    Dass FAZ und SZ sich allerdings im Fall Wulff von Bild und Kai Diekmann zeitweise instrumentalisieren ließen, wird sie Glaubwürdigkeit gekostet haben.

    1. Süddeutsche hat übrigens auch verloren… Die einzigen Zeitungen, die damit nicht zu kämpfen haben, sind (teilweise) die Wochenzeitungen. Wie gesagt: Das Leseverhalten ändert sich. Weg vom Papier (ist egal, was da drauf steht) und hin zum „elektronischen“. Ein heute 14-jähriger liest nie mehr Zeitung – die kann noch so toll (was immer das sein soll – für mich ist übrigens BILD richtig toll) sein.

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