Ein gefallener Engel als Medienprodukt

Michael Spreng äußerte kürzlich die Meinung, dass die Guttenberg-Affäre auf einen Machtverlust der Medien hinweise:

„Je heftiger die Vorwürfe, um stärker scharten sich die Fans um ihn: Wir lassen uns unseren Guttenberg nicht kaputtmachen. Das hat wie bei jedem Starkult irrationale Züge, das mag man erschreckend finden, aber es ist ein Faktum. Der Starkult immunisiert zu Guttenberg offenbar gegen die Kritik der Medien und der Opposition und gegen die Neider in den eigenen Reihen.

Die politische Kultur in Deutschland hat eine neue Entwicklungsstufe genommen. Die Entmachtung der – je nach Standort – öffentlichen oder veröffentlichten Meinung schreitet voran.“

Das halte ich, mit Verlaub, für Unfug. Es stimmt zwar, dass die veröffentlichte Meinung – dass also die klassischen Medien – an Macht verlieren (warum hingegen die öffentliche Meinung an Macht verlieren sollte, erschließt sich mir nicht). Aber: Ein Beispiel  für den Machtverlust der Medien ist Sarrazin. Guttenberg ist ein Gegenbeispiel.

Sarrazin hatte die Medien fast geschlossen gegen sich – und gewann.  Weil er die Lebenswelt der Normalmenschen realistischer beschrieb als es die in Hamburg-Pöseldorf domizilierenden politisch korrekten Journalisten in den letzten zwanzig Jahren taten. Deshalb gewann er eine schier unglaubliche Anhänger- und Leserschaft. Michael Spreng stand dabei übrigens auf seiten der klassischen Massenmedien und wetterte auf verlorenem Posten mit ziemlich schrägen Argumenten gegen Sarrazin.

Guttenberg bietet hingegen ein Beispiel für die beträchtliche Macht, die Massenmedien auch heute noch haben. In konzertierter Aktion bauten die Medien binnen zweier Jahre einen bis dato Unbekannten zum vermeintlichen Messias auf, zum „starken Mann“, der sich auch optisch von weniger modebewussten Persönlichkeiten des parlamentarischen Betriebs abhob und mit dem im Schloss antrainierten schneidigen Auftritt zur Ausmistung des Augiasstalles bereit schien. Sein penetrantes Posing unterstützen nahezu alle Medien mit einer geradezu erschütternden Bereitwilligkeit. Und wie neulich schon mal gesagt: Nicht wenigen Journalisten fehlt auch die Qualifikation, hohle Phrasendrescherei als solche zu erkennen.

Unkritische Heldenverehrung selbst beim Spiegel (42/2010)

Zur Korrektur des Trugbildes reichen zehn Tage nicht aus

Ein trügerische Bild haben – vielleicht in einem antidemokratischen Affekt, der ihnen selbst nicht bewusst wurde – ganze Heerscharen von Journalisten elektronischer und gedruckter Medien mit medialem Trommelfeuer in die Hirne der Menschen gepflanzt. Relativ seriöse Medien wie zum Beispiel der Spiegel haben ebenso mitgemacht wie die bunten Blätter, die froh waren, endlich wieder vorzeigbare einheimische Blaublüter ablichten zu können. Und zum neuen starken Mann fehlte eigentlich nur noch der deutsche Schäferhund.

Fast wie ein Bravo-Starschnitt: Aufmacherseite der Spiegel-Titelgeschichte „Der Bürgerkönig“ in Nr. 42/2010

Dieses Trugbild wird jetzt korrigiert. Bei manchen Leuten schneller, bei manchen langsamer. Bei fast allen Insidern und Kennern des Wissenschaftsbetriebes  ist Guttenberg als entlarvter Scharlatan  unten durch.  Doch die vielen Klempnermeister und Krankenschwestern, die nie eine Uni von innen gesehen haben, müssen denken, Guttenberg habe bloß ein bisschen geschummelt, so wie jeder in der Schule mal abgeschrieben hat.  Der wissenschaftliche Betrug ist von ihrer Lebenswirklichkeit weit entfernt. Für diese Menschen wird Guttenberg in Zeitlupe vom Sockel fallen. Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Medien ihn in Zukunft kritischer beschreiben werden. Der hemmungslose Aufschneider, der  letzten Sommer zu Protokoll gab, am Urlaubsstrand gern mal Platon im Original zu lesen „um den Kopf frei zu kriegen“, der hat nun keine Chance mehr.

Auch mit Thomas Strobl stimme ich nicht überein. Er vertrat unter der Überschrift „Aller Lärm umsonst gestern die Meinung, Guttenberg habe es – jedenfalls vorerst – geschafft und sei sogar gestärkt aus dem Skandal hervorgegangen. Doch schon heute ging es  weiter: Klare Betrugsdiagnosen von führenden Wissenschaftlern, die erste Distanzierung bei einem CDU-Ministerpräsidenten, die Spontan-Demo am Potsdamer Platz.

Guttenberg wird gehen

Guttenberg ist nicht zu halten, die Beliebheitswerte, die ihn momentan noch schützen mögen, werden in der nächsten Wochen wie Schnee in der Märzsonne schmelzen. Von Tag zu Tag werden ihn mehr Leute als adligen Schnösel mit geschönter Vita wahrnehmen, der bürgerliche Tugenden mit Füßen trat. Der entweder seine Dissertation im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit schrieb oder dreifach log: in der ehrenwörtlichen Erklärung gegenüber der Universität, gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber dem Parlament.

Prognose: Spätestens im Herbst wird er nicht mehr Bundesminister sein. Ob er irgendwann später eine zweite Chance bekommt, ist eine andere Frage. Die soll er gern haben, wie jeder Mensch.

2 Kommentare zu „Ein gefallener Engel als Medienprodukt

  1. In der Analyse stimme ich diesem guten Artikel zu. Nur in einem Punkt liegst Du falsch. Sarrazin hat keineswegs gewonnen. Er streitet sich heute vor Gericht um die Frage, ob man ihn „ich weiß nicht wie“ nennen darf. Er ist ohne öffentliche Funktion und somit auf Normalmaß geschrumpft. Das war das Ziel – und hat auch funktioniert.

  2. War nicht das ursprüngliche Ziel, Sarrazin als Knallcharge darzustellen und sein nicht hilfreiches Buch schnellstens makulieren zu lassen?

    Immerhin hat Bernd Ulrich – ein entschiedener Sarrazin-Gegner – in der ZEIT vom 16.12. „eine Niederlage in der Sarrazin-Debatte“ für sich und seine Zunft diagnostiziert (merkwürdigerweise finde ich den Artikel „Was ist bloß los mit uns?“ im ZEIT-Webarchiv nicht mehr, aber ich habe eine pdf, falls er Dich interessiert).

    Sarrazins Analysen halte ich z.T. für falsch. Doch sein Bucherfolg (dessen Dimension ihn und den Verlag ja offensichtlich selbst überraschte) hat geholfen, die verschwiemelte Correctness à la Claudia Roth ein bisschen zurückzudrängen, die – indem sie Teile der Realität unter den Teppich zu kehren versucht – per Saldo und auf lange Sicht nach meiner Überzeugung Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eher befördert als bekämpft.

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