„Fakt ist: Karl Theodor zu Guttenberg hat bei seiner Dissertation betrogen. Ein Versehen und ein Schludern kann man ausschließen.“ So fasst Stefan Tillman kurz und bündig die Sachlage in seinem heutigen Kommentar in der Financial Times Deutschland zusammen.
Die Bundeskanzlerin, die das Land noch kürzlich zur „Bildungsrepublik“ beförderte, meiert heute den Wissenschaftsbereich ab: als eine Zone minderer Bedeutung im Vergleich zur hohen Politik, als Zone, in der Lug und Trug zu lässlichen Sünden zusammenschnurren. Angela Merkel nimmt damit ihre Selbstbeschädigung in Kauf – vielleicht, weil sie Guttenberg nicht feuern, sondern auf seinen Rücktritt warten will.
Bundesminister sind schon wegen weit geringerer Verfehlungen zurückgetreten. Jürgen Möllemann musste zum Beispiel 1993 wegen eines minder schweren Falls von Vetternwirtschaft gehen. Er hatte einigen Handelsketten auf ministeriellem Briefpapier den Einkaufswagen-Chip seines Schwagers empfohlen.
Guttenbergs Verbleib im Amt hätte schlimme Langfristfolgen für Bildung und Wissenschaft in Deutschland. Denn wie sollen Schüler und Studenten zukünftig noch zum korrekten Arbeiten angehalten werden, wenn Guttenberg nach einem besonders dreisten Täuschungsversuch höchste Staatsämter bekleiden darf.
Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Guttenberg als Bundesminister noch lange zu halten sein wird. „Like“-Buttons bei Facebook ersetzen weder Argumente, noch sind sie Elemente direkter Demokratie. Guttenbergs Beliebtheit wird sich in den jetzt vor ihm liegenden Mühen der Ebene rasch verflüchtigen. Er wird von jetzt an den reflektierendenTeil der deutschen Öffentlichkeit auf Schritt und Tritt gegen sich haben, vom studentischen Blogger bis zum FAZ-Kulturredakteur, ausgenommen allenfalls die Schreiber der Springer-Presse, die, wenn sie mit ihrer bedingungslosen Unterstützung für umstrittene Adelsvertreter so weitermachen, bald Erinnerungen an Hugenbergs Imperium wecken werden.
Allerdings wirft die Affäre Guttenberg, darauf hat Norbert Lammert heute zu Recht hingewiesen, auch ein Schlaglicht auf den Herdentrieb, der in Sachen Guttenberg – auch außerhalb der Springer-Blätter – in den Medien während der letzten beiden Jahre herrschte. Die Hochstapelei in Guttenbergs Lebenslauf, die FAZ, Süddeutsche und ZEIT jetzt aufdecken, hätte auch wesentlich früher recherchiert werden können. Aber selbst die Qualitätsmedien haben überwiegend den vermeintlich Außerirdischen bejubelt, um im Trend zu liegen und so Quoten, Klicks und Auflagen befeuern zu können. Guttenberg ist ein von der Zirkusreife nicht weit entferntes Medienprodukt und die Hybris, die er in diesen Tagen offenbart, ist eben in gewisser Weise auch ein Medienprodukt.
Er sollte sich jetzt eine Auszeit gönnen und seine zweite Chance zu einem späteren Zeitpunkt einfordern.