Wachstumsfetischisten

„Das Bruttosozialprodukt … ist aus einer ganzen Reihe von Gründen kein hinreichender Maßstab der Wohlfahrt.“ Nein, dieser Satz stammt nicht aus der Begründung für die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die der Deutsche Bundestag letzten Montag ins Leben gerufen hat. Der Satz ist fast vier Jahrzehnte alt. Er steht in einem Buch, das Horst Siebert, der spätere „Wirtschaftsweise“ und Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, im Jahr 1973 unter dem Titel „Das produzierte Chaos“ veröffentlichte.

Es gibt also seit Jahrzehnten kein Erkenntnisproblem mehr. Warum verspürt die Politik erst jetzt einen gewissen Handlungsdruck,  „das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen“  weiterzuentwickeln und  „etwa um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien“ zu ergänzen, wie es beim Bundestag heißt? Nun, eine Antwort – zumindest eine Teilantwort – gibt die Grafik unten. Es ist eben erst jetzt an der Zeit, die Trauben für sauer zu erklären – jetzt, da sich die logarithmische Trendkurve der Wachstumsrate asymptotisch an die Null-Linie schmiegt.

Für die eh nur mickrigen Wachstumsraten der letzten Jahrzehnte wurde ökologisch Raubbau getrieben, eine für Friedenszeiten historisch einmalige fiskalische Verschuldungsorgie in Gang gesetzt und der Weg in den demographischen Niedergang eingeschlagen. Glücklicher sind die Deutschen bei alledem nicht geworden. Vielmehr deuten Allensbacher Daten auf eine Entkoppelung von BIP und Glück hin (Grafik unten). Nimmt man Daten zur allgemeinen Lebenszufriedenheit aus dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP), so sieht es ähnlich aus. Das Phänomen ist aus der Glücksforschung längst bekannt: Jenseits gewisser Schwellenwerte tragen Einkommenszuwächse zur Wohlfahrt kaum noch bei.

aus: Memorandum der Arbeitsgruppe "Zufriedenheit", Ernst-Freiberger-Stiftung

Angesichts dieser Fakten verbietet es sich eigentlich, undifferenziert nach weiterem „Wachstum“ zu rufen. Man müsste sich schon überlegen, was wachsen soll und was besser nicht. Aber durch Fakten lassen sich Wachstumsfetischisten nicht beeindrucken, die neoklassischen nicht und viele keynesianische schon gar nicht. 

Letztere müssten eigentlich schon wegen der in jedem volkswirtschaftlichen Lehrbuch abgedruckten Keynesschen Konsumfunktion schwer ins Grübeln geraten. Die sieht bekanntlich eine marginale Konsumquote kleiner Eins und eine mit steigendem Einkommen steigende Sparquote vor.  Dass mit wachsendem Einkommen die Konsumquote sinke, sei ein „fundamentales psychologisches Gesetz“ schrieb der Altmeister in seiner „Allgemeinen Theorie“. Zugleich wies er auf die Selbstverständlichkeit hin, dass der Konsum der einzige Endzweck allen Wirtschaften sei. Nimmt man beides zusammen,  ist klar, dass eine unendliche Steigerung der Wirtschaftsaktivität völlig sinnlos ist. Diese Sinnlosigkeit offenbart sich  immer mal wieder, wenn Politiker uns aufrufen, tüchtig zu konsumieren, damit wir Arbeit haben. Damit wird nämlich die ursprüngliche Logik geradewegs auf den Kopf gestellt. Seit der Vertreibung aus dem Garten Eden pflegten die Menschen Jahrtausende lang zu arbeiten, um konsumieren zu können.

3 Kommentare zu „Wachstumsfetischisten

  1. Schöner Artikel!

    > Man müsste sich schon überlegen, was wachsen soll und was besser nicht.

    Das überlegt und entscheidet bzw. beeinflußt 1) jeder Konsument und 2) die Steuer- und sonstige Gesetzpolitik.

    „…ist klar, dass eine unendliche Steigerung der Wirtschaftsaktivität völlig sinnlos ist.“

    Und auch unmöglich, weil – neben dem Konsumargument – die Produktivität trotz allem technischem Fortschritt und Energieeinsatz nicht ins Unendliche gesteigert werden kann.

    > In Wirklichkeit … stecken wir in der „Systemkrise der Wachstumsgesellschaft“.

    Zu der m. E. auch folgende Aspekte beitragen: 1) Demographische Entwicklung, Überalterung der Bevölkerung, 2) Strangulierung der Wirtschaft durch Steuerpolitik und gesetzliche Überregulierung.

  2. Einverstanden.
    Die Demographie dämpft allerdings erst jetzt das Wachstum. Dass die geburtenstarken Jahrgänge („Babyboomer) sich nur zu zwei Dritteln reproduzierten (eine Entwicklung, die durch staatliche Anreize zur Kinderlosigkeit erst möglich wurde), das wirkte von Anfang der 1970er bis ungefähr Mitte der 1990er wachstumsfördernd, indem es Frauenerwerbsarbeit und BIP-relevante Konsumkategorien (z.B. Pkw, Mode, Tourismus) stimulierte.
    Die Rechnung dafür kommt eben erst heute und in Zukunft. Doch diese Zusammenhänge werden immer noch verschleiert und von vielen Schlaumeiern bestritten.

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