Der große Lümmel greint

Sarrazin ist binnen zweier Wochen zum „Volkshelden“ (Spiegel) geworden. Warum? Weil er  zur Wahrheit, wie er sie sieht, kein taktisches Verhältnis hat. Dafür lieben ihn die Leute. Damit unterscheidet er sich von all den Schlaumeiern des politisch-publizistischen Komplexes, die sich klug dünken und in der Tat oft auch hochintelligent sind, deren Finten aber „das Volk, der große Lümmel“ (Heinrich Heine)  satt hat.

Ein vielleicht typischer Repräsentant dieser neunmalklugen politisch-publizistischen Funktionselite ist Michael Spreng, einst Chefredakteur der Bild am Sonntag, Wahlkampfleiter von Stoiber, Berater von Rüttgers, Redaktionsleiter von Maischbergers Talk-Show. Zwei Kostproben seiner vermeintlichen Cleverness lieferte Spreng im Fall Sarrazin.

Erstens gehört er zu denen, die besonders laut bestreiten, dass die Causa Sarrazin mit Meinungsfreiheit etwas zu tun habe. Denn,  sagt Spreng,  „kaum einer durfte in den letzten Jahren den Mund so weit aufreißen wie Thilo Sarrazin.“ Doch die Leute sind nicht so dumm wie Spreng zu glauben scheint. Nach seiner Logik hätte auch die Verfolgung Kurt Westergaards oder Salman Rushdies durch islamistische Fanatiker mit Meinungsfreiheit rein gar nichts zu tun.  Denn die beiden genossen ja sogar noch mehr Publizität als Sarrazin.

Zweitens fand er im 450-Seiten-Wälzer Thilo Sarrazins zielsicher die Stelle, mit der Sigmar Gabriel öffentlichkeitswirksam gegen Thilo Sarrazin punkten könne. Spreng schreibt:

“ Wer sich selbst seiner nicht sicher ist, dies auch noch öffentlich demonstriert, der überzeugt keine Wähler.

Umso unverständlicher ist, dass die SPD in der öffentlichen Diskussion nicht die 50.000-Euro-Trumpfkarte spielt. Sarrazin will Akademikerpaaren, die unter 30 ein Kind bekommen, 50.000 Euro Prämie zahlen. Damit steht er in fundamentalem Gegensatz zur Aufstiegsphilisophie der SPD: Aufstieg durch Bildung. Sarrazin dagegen will aus seiner kruden Sicht von vererbbarer Intelligenz nur die Aufstiegsgewinner belohnen. Verkäuferinnen, AOK-Angestellte, Busfahrer, Facharbeiter sollen leer ausgehen. Geld gibt’s nur  für Akademiker.“

Das veröffentlichte Spreng am Mittwoch letzter Woche, einen Tag später spielte Gabriel prompt in der Illner-Talkshow die vermeintliche Trumpfkarte. Thilo Sarrazin liegt hier auch nach meiner Ansicht völlig daneben. Sein Vorschlag ist blödsinnig. Er leitet sich daraus ab, dass Sarrazin die angeborene Intelligenz überschätzt. Nur geht es hier nicht um die Hauptbotschaft des 450-Seiten starken Sarrazin-Wälzers, sondern um eine eher unbedeutende Randnotiz.

Eine ernsthafte, intellektuell redliche Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazin, das zeigen diese Beispiele, ist vom Berliner politisch-publizistischen Komplex nicht beabsichtigt.  Einer,  der „Niedergang“ sagt anstelle des politisch korrekten Neusprechs vom „demografischen Wandel“,  einer, der statt geschönter Statistiken die echten Zahlen präsentiert, einer, der statt in Legislaturperioden in Generationen denkt, so einer soll als Schmuddelkind ausgegrenzt und in die Ecke gestellt werden.

Aber das Volk, der große Lümmel, fängt an zu greinen. Und das ist gut so.

4 Kommentare zu „Der große Lümmel greint

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